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Impression: Ausfahrt mit Maybach Zeppelin DS8 und Mercedes 770 Kompressor - Ausfahrt der Giganten

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  • 27. August 2020, 13:27 Uhr
  • Patrick Broich/SP-X

Vor dem zweiten Weltkrieg waren Maybach und Mercedes Wettbewerber und rangen darum, jeweils das beste Auto der Welt zu bauen. Ein Treffen zweier Superlative.

Man hat nicht alle Tage Gelegenheit, in einem Maybach-Zwölfzylinder der Vorkriegstage hinter dem Steuer Platz zunehmen, für einen Kompressor-Mercedes gilt das ebenso. Kaum hundert Exemplare des späteren Typs 770 der Baureihe 150 verließen die Werkshalle, beim Maybach Zeppelin DS8 besagen verschiedene Quellen bis zu 25 Exemplare. Es ist von 16 überlebenden Fahrzeugen die Rede. Da es früher üblich war, von einem Fahrzeugersteller das Chassis liefern und vom Karosseriebauer einkleiden zu lassen, rollt der Maybach hier als offene Variante und der Mercedes als konventionelle, geschlossene Limousine vor. Die Trennwand des 770 Kompressors zeigt schon, dass man in der Regel fahren ließ.

Der DS8 lädt als restauriertes, cremebeiges Cabrio mit braunem Verdeck zu einer Ausfahrt ein. Man muss das edle Fahrzeug erklimmen, um dann hoch oben auf dem Fahrersitz zu thronen mit direktem Blick auf die massive MM-Kühlerfigur. Hinter den Passagieren der ersten Reihe finden sich zwei weitere Sitzbänke, auf denen mal luftig verweilen kann, und das gilt in doppelter Hinsicht. Erstens fällt die Beinfreiheit üppig aus. Zweitens entsteht ordentlich Sturm bei heruntergelassenem Verdeck - für Cabriofans ein wahrer Traum.
Doch die interessanteste Perspektive bietet zweifellos der Platz hinter dem großen Lenkrad. Also starten wir das 7,9 Liter große Zwölfzylinder-Maschinenwerk mit für damaligen Verhältnissen unfassbaren 200 PS - die allerdings auch rund drei Tonnen Leermasse zu schleppen hatten. Doch der Reihe nach.
Die eigentlich noch größere Besonderheit als der Motor ist das Getriebe des Maybach DS8, bei dem handelt es sich nämlich um eine innovative Halbautomatik. Es gibt zwar einen konventionell platzierten Schalthebel in der Mitte, doch diesen betätigt man lediglich vor dem Start und nicht während der Fahrt. Der Fahrer entscheidet zunächst, ob er die kurz oder lang übersetzte ,,Hauptebene" möchte, um dann später vier Gänge per Hebel auf dem Lenkrad anzuwählen. Das Anfahren erfolgt noch konventionell: Schalthebel von neutral in die für normale Fahrbahnverhältnisse Ebene ,,lang" führen, dann am Lenkrad den ersten Gang einlegen und einkuppeln, schon setzt sich der Dreitonner in Bewegung. Die vier Fahrgänge werden ohne Kuppeln durchgeschaltet - einfach einlegen mit oder ohne Last. Der per Unterdruck gesteuerte Automat legt den vorgewählten Gang ein, sobald man das Gaspedal lupft, und zwar nahezu geräuschlos ohne auch nur den Hauch eines Kratzens oder Krachens. Faszinierend.
Beherrscht man die Antriebstechnik einmal, kann man mit dem DS8 behände unterwegs sein. Auch wenn sich kein Drehmoment-Wert finden lässt, es ist genügend davon vorhanden. Der Maybach schiebt mit Macht aus dem Drehzahlkeller, bringt die schwere Karosse zügig auf Tempo und dringt sogar in Geschwindigkeitsbereiche jenseits der heutigen Richtgeschwindigkeit vor. Doch Vorsicht auf der Landstraße, denn abgesehen vom Nichtvorhandensein jeglicher querdynamischer Kompetenz verlangt der Maybach nach bärigen Lenkkräften. Also Kurve verfehlen geht nicht nur wegen der Unzulänglichkeiten des Fahrwerks, sondern ebenso, weil der Lenkwinkel einfach nicht gepasst hat. Dafür ist es bei der analog zum Getriebe ebenfalls unterdruckgesteuerter Bremse anders. Etwas zu kräftig in das Pedal, und die Mitfahrenden schleudern gen Windschutzscheibe.
Umstieg in den großen Mercedes 770 Kompressor, den Urahnen des großen 300 mit dem Spitznamen Adenauer und natürlich des 600 der Baureihe W100. Auch er geizt nicht mit Hubraum, schenkt 7,7 Liter ein, die allerdings aus acht in Reihe platzierten Brennräumen stammen. Das Getriebe arbeitet konventionell, es gibt vier Vorwärtsgänge - der letzte davon ist als langer Overdrive ausgelegt. Innovationsträchtig hier ist die mechanische Kompressoraufladung. Damit schüttelt der Reihenachtzylinder 230 PS von der Kurbelwelle, das sollte selbst für eine ebenfalls jenseits der Dreitonnen-Grenze angesiedelten Rahmenkonstruktion reichen. Das Fahren hier gelingt auch ohne vorheriges Anlernen, zumal nur der erste Gang unsynchronisiert ausfällt. Klar, die Abmessungen sind ungewohnt, man steuert schließlich nicht jeden Tag einen Sechsmeter-Wagen, und der Schalthebel will behutsam geführt werden. Sicherheitshalber hat das Mercedes-Technikteam die beiden Luxusliner in eine verkehrsarme, ländliche Gegend verfrachtet, um von dort aus in Ruhe zu starten. Hier darf sich der Benz dann auch mal einer Beschleunigungsorgie hingeben, wenn der mechanische Lader nach Kickdown-Befehl - ja, der Mercedes 770 Kompressor hat tatsächlich Ende der Dreißigerjahre bereits einen Kickdown-Schalter - das Rotieren der Zylinder lautstark heulend im wahren Sinne des Wortes durch mehr Sauerstoff befeuert.
Lenken gelingt einfacher im 770, der Kraftaufwand hält sich in Grenzen. Dafür muss man deutlich ruppiger ins Bremspedal steigen, das ohne Fremddruckerzeugung auskommen muss. Fein gearbeitete Instrumente in beiden Lagern zeigen, was Präzisionsmechanik eigentlich bedeutet - eine Kunst, die heute ausstirbt zugunsten digitaler Technologien.
Maybach Zeppelin DS8 oder Mercedes 770 Kompressor fahren bedeutete damals wohl mehr Luxus als heute eine S-Klasse mit Maybach-Emblem zu bewegen. Wer heute allerdings einen Zeppelin oder 770 Kompressor erwerben möchte, braucht neben dem nötigen Kontostand - siebenstellig dürfte es schon werden - auch noch viel Geduld, bis jemand eines der raren Exemplare auf beiden Seiten überhaupt verkaufen möchte. Viel Glück und gute Fahrt!



Mercedes 770 Kompressor - technische Daten:

Bauzeit 1930 bis 1943 (in zwei Baureihen), Länge: je nach Karosserie

7,7-l-Achtzylinder-Otto-Reihenmotor mit Kompressoraufladung, 155 kW/230 PS, maximales Drehmoment: k.A., 0-100 km/h: k.A, Vmax: 170 km/h, Viergang-Schaltgetriebe

Maybach Zeppelin DS8 - technische Daten:

Länge: je nach Karosserie

7,9-l-V-Zwölfzylinder-Otto-Saugmotor, 147 kW/200 PS, maximales Drehmoment: k.A., 0-100 km/h: k.A., Vmax: k.A., Halbautomatik mit acht Übersetzungen

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