Reisemobil

Mit dem Mercedes Marco Polo in Le Mans - Abenteuer unter einem guten Stern

img
Marco Polo nennt Mercedes traditionell die zum Ferienzimmer auf Räder umgebauten Kleintransporter, deren Geschichte 1984 mit dem Bremer Transporter begonnen hat Foto: Mercedes

Camping boomt und ein paar Nächte im Wohnmobil sind für die meisten mittlerweile das normalste der Welt. Was also liegt für einen Petrolhead näher, als die Nächte im Auto zu verbringen. Erst recht, wenn das Hotel auf Rädern einen Stern hat.

Viele Tausend Oldtimer, über 1.000 Rennfahrer und fast 200.000 Zuschauer - das macht die Le Mans Classics zu einer der größten Oldtimer-Veranstaltungen der Welt. Dumm nur, dass davon am Austragungsort offenbar auch nach zehn Jahren noch keiner etwas mitbekommen hat. Zumindest nicht die Hoteliers. Denn genau wie beim 24-Stunden-Rennen stehen hier die Zahl der Gäste und der Übernachtungsmöglichkeiten in einem krassen Widerspruch. Vom Komfort, den die Besitzer millionenschwerer PS-Pretiosen wahrscheinlich erwarten, ganz zu schweigen. Wer sich darauf nicht einlassen möchte, der kommt deshalb als Camper, selbst wenn er damit sonst nicht viel am Hut hat.

Damit es allerdings nicht ganz so weh tut, fällt die Wahl zumindest bei uns nicht auf ein Zelt, sondern auf einen Marco Polo. So nennt Mercedes traditionell die zum Ferienzimmer auf Räder umgebauten Kleintransporter, deren Geschichte 1984 mit dem Bremer Transporter begonnen hat. Heute basiert der Marco Polo auf der V-Klasse und wurde 2019 noch einmal gründlich überarbeitet. Dass der Marco Polo damit vergleichsweise klein ist, mag auf dem Campingplatz von Nachteil sein, hat gegenüber den größeren Wohnmobilen von Hymer & Co aber unterwegs einen entscheidenden Vorteil: Der Fahrer wähnt sich nicht in einem kleinen Laster, sondern in einem großen Pkw samt wolkenweicher Luftfederung und muss sich entsprechend wenig umstellen: Fahrkomfort, Geräuschniveau, Ambiente und Assistenzsysteme sind auf dem Niveau von C-Klasse & Co.

Nur bei der Wahl des Motors ist Vorsicht angebracht: Weil der Marco Polo schnell mal 2,5 Tonnen wiegt, ist man am oberen Ende der Palette besser aufgehoben als am unteren. Der Basis-Diesel mit seinen 136 PS ist deshalb sicher keine gute Wahl. Am besten fährt man mit dem V 300d, der als 4Matic dann auch noch die Urlaubssaison verlängert - selbst wenn sich der 237 PS starke Vierzylinder schon mal seine 9,0 Liter Diesel gönnt. Aber immerhin hat er dann auch genügend Kraft, um nicht nur lässig im Verkehr mitzuschwimmen und wo erlaubt, die Reisezeit mit bis zu 217 km/h entsprechend zu verkürzen. Vor allem auf den endlosen Landstraßen nach Le Mans kann man, den maximal 500 Nm sein Dank, auch mal überholen. Und je länger man fährt, desto mehr bedauert man das schleichende Ende des Diesels. Denn 800 Kilometer Alltagsreichweite und mit zahmem Gasfuß auch mal 1.000 sind für Fernfahrer kein schlechtes Argument.

So jedenfalls beginnt das Abenteuer erst bei der Ankunft, wenn man den Wagen mit den Keilen im Kofferraum nivelliert, die Klappmöbel aus dem Heck zieht, den Frischwassertank füllt, die Gasflasche aufdreht, die externe Stromversorgung anstöpselt und dann sein Reich absteckt.

Weil es lange hell ist an diesem Sommerabend und auf der Rennstrecke am Abend vor dem Event noch nicht viel passiert, bleibt genügend Zeit, die Wohnung auf Rädern zu erkunden - zumal der Kühlschrank in der Küchenzeile hinten links die Feierabendgetränke derart herunter gekühlt hat, dass der Schlummertrunk ohnehin erst noch auftauen muss. Neugierig fällt der Blick deshalb auf die Einbauschränke, die voller pfiffiger Ideen wie dem ausklappbaren Badezimmerspiegel stecken, überrascht zaubert der Fahrer aus all den Schubladen und Klappfächern Geschirr und Besteck hervor und staunend starrt er auf die zwei Gasflammen und das winzige Spülbecken daneben und fragt sich, ob die Imbissbuden drüben an der Strecke nicht vielleicht doch die bessere Wahl sind. Erst recht, weil sie hier in Le Mans eben keine Bockwürste und Pommes servieren, sondern - so viel Savoir Vivre sind sich die Franzosen schon schuldig - Austern, Hummer und zum Dessert frische Crêpes auftischen.

Entsprechend gestärkt und gesättigt beginnt zwei Stunden später die Nacht - allerdings nicht ohne Abendgymnastik. Denn wo sich die Platznachbarn einfach ins Zelt oder ins gemachte Bett werfen, muss man im Marco Polo erstmal Stühle rücken und drehen, die Bank flachlegen, den Topper über die Polster werfen und die Matratze aus dem Aufstelldach holen. Denn wer nicht klettern will und ein bisschen mehr Platz braucht, der schläft besser unten - selbst wenn ihm dann der gut gefederte Rost fehlt. Und während die Fenster hinten alle mit zwei Handgriffen durch Rollos verschlossen werden, kostet der Sicht- und Lichtschutz vorne viel Geduld und wenn's dumm läuft auch ein paar Fingernägel, bis die große Stoffbahn hinter die Sonnenblenden geklemmt und an den Flanken befestigt ist.

Wenn man dann nach ein paar je nach persönlichem Geschick und individueller Erfahrung mehr oder minder langen Minuten in die Horizontale geglitten ist, lernt man noch eine weitere Qualität des Marco Polo zu schätzen - sein erweitertes MBUX-System. Denn die V-Klasse bietet nicht nur gleiche eingängige Infotainment wie jeder andere aktuelle Mercedes, selbst wenn der Bildschirm dafür erschreckend klein ist. Es gibt eine eigens für den Schlafvan programmierte App, mit der sich sämtliche Camping-Funktionen vom Smartphone aus steuern lassen. Jetzt muss zwar niemand vom Bett aus den Frisch- oder Brauchwassertank kontrollieren, den Bordcomputer auslesen oder die Navigation füttern. Aber dass man im Liegen mit einem Fingerzeig das Dach aufstellen oder die gläserne Luke zum Himmel öffnen kann, hat schon seinen Vorteil. Und auch das Ambientelicht gewinnt an Reiz, wenn man dafür nicht erst wieder vor ins Cockpit klettern muss. Nur eine Standklimatisierung wird man darauf nicht finden. Und die Standheizung ist in lauen Sommernächten definitiv überflüssig.

Kurz bevor die erste Nacht beginnt, wägt man dann noch einmal das Für und Wider des Van-Campings ab und kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Klar, für einen Familienurlaub taugt der Marco Polo nicht, selbst wenn es unter dem Aufstelldach streng genommen ja sogar ein zweites ,,Schlafzimmer" gibt. Und weil neben der Küchenzeile nur wenig Platz für die Matratze bleibt, müssen sich auch Pärchen ziemlich liebhaben, wenn sie die Nacht gemeinsam verbringen wollen. Doch besser als in den meisten Hotelzimmern schläft man in diesem Mercedes allemal. Und viel mehr Platz bieten zumindest die Butzen in Le Mans auch nicht. Allerdings ist das Vergnügen auch nicht billig. Das Hotel hat zwar nur einen Stern, aber weil der von Mercedes ist, greift er tief rein in die Urlaubskasse: Wer schon für das Basismodell rund 55.000 Euro ausgibt und mit Furz und Feuerstein schnell an die 100.000 Euro kommt, der muss verdammt oft im eigenen Bett schlafen, damit sich die Ferienzimmer auf Rädern auch rentiert.

So kuschelt man sich in die Kissen und gewöhnt sich an die Vorstellung, vielleicht doch noch zum Camper zu werden. Bis sich irgendwann lange vor der Dämmerung die letzte Flasche Wasser am Abend rächt und einen aus dem Bett treibt. Denn unkomfortabel wird es im Marco Polo erst, wenn einen der eigene Körper aus der Komfortzone der Karosserie in den Container am Rande des Standplatzes zwingt: Wer sich nachts einmal aus den Federn geschält hat, in Klamotten und Schuhe geschlüpft und im Zwielicht über eine Wiese im gestolpert ist, der weiß, warum mittlerweile auch das kleinste Hotelzimmer eine eigene Nasszelle hat. Und wenn am Morgen dann auch noch ein gewisses Hygienebedürfnis dazu kommt, die Höflichkeit aber gleichzeitig Smalltalk in der Warteschlange erfordert, stellt man schnell sogar die tägliche Dusche in Frage. Und nein, die Außendusche, die Mercedes im Einbauschrank hinten links versteckt hat, ist da keine ernst zu nehmende Alternative. Wenn schon Camping, dann das nächste Mal deshalb vielleicht noch eine Nummer größer und für den Notfall auch mit eigenem Badezimmer.

Wobei der Marco Polo spätestens auf dem Heimweg auch noch seinen letzten Schrecken verliert. Denn zurück nach Hause geht es von le Mans aus erst mit der Bahn und dann mit dem Flieger - und das ist in den Zeiten der Post-Pandemie ein Chaos, dass der Camping-Urlaub plötzlich reizvoller erscheint als je zuvor.

STARTSEITE