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Tradition: 30 Jahre Volvo 850 Kombi - Schwedens schönste und schnellste Lademeister

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Auf dem Genfer Salon 1993 feierte der Volvo 850 Kombi Ende Februar Weltpremiere Foto: Volvo

Zeitenwende bei den Wikingern: Vor 30 Jahren verblüffte Volvo seine konservative Kombi-Kundschaft mit wilden Lademeistern, die sogar im Motorsport Karriere machten. Volvo 850 hießen die neuen Kombis, die erstmals neben Sicherheit auch Lifestyle und Leistung großschrieben. ,,Wölfe im Schafspelz', jubelten die Medien.

Sichere Familienkombis in kantigen Knäckebrot-Konturen, robust wie Bohus-Granit und mit viel Platz für Ikea-Möbel oder eine fröhliche Kinderschar aus Småland: So mussten Volvo Kombis sein - bis zum Februar 1993. Dann brach der Volvo 850 einer neuen skandinavischen Kombi-Ära auf furiose Art freie Bahn, als ,,Polar-Wolf im Schafspelz", ,,sportlichstes und schnellstes Fahrzeug seiner Art auf dem ganzen Planeten", ,,weltweite Sensation mit Frontantrieb und Fünfzylinder-Motor", wie das Volvo-Marketing und Fachmedien unisono tönten. Allerdings waren einige Lobeshymnen übertrieben, schließlich gab es die Kombination Fünfzylinder und Frontantrieb bei Audi schon seit Jahren. Auch die Formensprache des Volvo 850 zeigte sich erst auf den zweiten Blick als innovativ, blieb der in Nordamerika sogar als ,,Sportswagon" beworbene Kombi doch ein kantiger Klotz. Dies nun allerdings mit keilförmigerer Front, markanter Motorhaube mit integriertem Kühlergrill, ungewohnter Grafik der Seitenfenster und vertikalen, bis ins Dach reichenden Heckleuchten. Ein Stilelement, das später andere Hersteller adaptierten und das dazu beitrug, dass der Volvo 850 in Italien als erster Kombi einen speziellen Medien-Award erhielt: ,,Schönstes Auto der Welt 1993". Mehr Lob für einen Familienlaster ging nicht. Also tatsächlich eine neue Ära für die Schweden. Dazu passten zukunftsweisende Turbo-Triebwerke, die den Volvo 850 Kombi für Renneinsätze prädestinierten.

Klar, die Medienauszeichnung ,,Volvo 850: Sicherstes Auto der Welt", durfte nicht fehlen. Tradition verpflichtet eben, und der Volvo 850 löste dieses Sicherheitsversprechen durch mehrere Weltneuheiten ein: Neben automatisch höheneinstellbaren Sicherheitsgurten für die Vordersitze kam erstmals ein

Seitenaufprall-Schutzsystem namens SIPS zum Einsatz, das die Aufprallkräfte bei einem Seitencrash erfolgreich über die gesamte Karosseriestruktur ableitete und deshalb in allen neuen Volvo-Modellen Standard wurde. Auch Seitenairbags erhielt der Volvo 850 im Jahr 1995 als erstes Serienauto. Der laut Werbung ,,weltsicherste Kombirücksitz" bot Dreipunkt-Gurte erstmals auf dem Mittelplatz, inklusive Kindersitzkissen. Und 1996 legten die Schweden auf der Antriebsseite nach: Als erster Pkw des Göteborger Autobauers reduzierte der Volvo 850 AWD durch permanenten Allradantrieb das Gefahrenpotential vereister und verschneiter Fahrbahnen. So avancierte der von einem 142 kW/193 PS starken Fünfzylinder-Benziner beschleunigte Volvo 850 AWD zum Vorboten der bis heute angebotenen Volvo-XC-Modelle.

Überhaupt die Fünfzylinder-Motoren, mit diesen Meilensteinen nordischer Ingenieurskunst verstand es der Volvo 850 Kombi ebenfalls, Akzente zu setzen - und sich nicht nur auf seinem Heimatmarkt als Nachfolger des lange unsterblich geglaubten Volvo 240 in die Herzen der kühlen Skandinavier zu brennen. Der letzte Volvo 240 wurde am 5. Mai 1993 mit dem Stopp des Fertigungsfließbandes ins Museum geschickt, nachdem er zuvor Geschichte geschrieben hatte als erstes in über 2,5 Millionen Einheiten gebautes schwedisches Volksauto, sicherstes Fahrzeug Amerikas, oder schlicht als ,,der Volvo unter allen Volvo". So hatte der über Jahrzehnte gebaute Volvo 240 sogar seinen ersten designierten Nachfolger, den Typ 740, überlebt. Nun kam der Volvo 850 mit Kanten als Reminiszenz an den ,,fliegenden Ziegelstein" vom Typ 240, vor allem aber mit bahnbrechender technischer Modernität sowie frischem Fahrspaß, wie er damals sonst bei BMW, Mercedes oder Audi vermutet wurde. Erst jetzt war es für den Volvo 240 endgültig Zeit abzutreten.

Gegenüber den Konkurrenten Audi 100/A6 Avant, BMW 5er Touring und Mercedes E-Klasse T-Modell brachte der 850 Kombi einen entscheidenden Kostenvorteil mit, denn nur Volvo verzichtete in Deutschland auf einen Preisaufschlag für den Fünftürer gegenüber der vergleichbaren Limousine. Mit den neuen Fünfzylinder-Motoren - übrigens erstmals quer eingebaut - versprach sich Volvo ebenfalls Vorsprung, speziell gegenüber den Deutschen, so dass der 850 die Fünf im Modellcode trug. Vom relativ billigen Basis-Benziner über Diesel-Direkteinspritzer bis zu den bis dahin stärksten nordischen Turbos - in Nordamerika als ,,Thunder Wagon" und ,,Hot-rod

Volvo" beworben - war alles dabei, was die in neuem Werk in Gent/Belgien gebauten Schweden-Kombis begehrenswert machen konnte. Dazu zählte 1994 auch die Rückkehr von Volvo auf Rennstrecken, zunächst in der British Touring Car Championship (BTCC). Die Zuschauer trauten ihren Augen nicht, als die wilden Wikinger mit den ersten beiden Renn-Tourenwagen in Kombi-Karosserie antraten. Anfangs belächelten einige gegnerische Rennteams die Volvo 850 Kombis noch, aber dann avancierten die vom Schweden Rickard Rydell und dem Niederländer Jan Lammers gefahrenen Kombis zu gefürchteten Herausforderern in der hart umkämpften Tourenwagenserie - so sehr, dass schon 1995 eine Reglementänderung den erneuten Start des Volvo 850 in Kombiform verhinderte.

Street-Racing-Qualitäten und das Potential zum Porsche-Jäger bot überdies der Volvo 850 T5-R Kombi mit 176 kW/240 PS starkem Fünfzylinder-Turbo, der in limitierter Auflage gebaut wurde. Zuteilungsreife Kaufverträge wurden im Kleinanzeigenmarkt mit Aufschlag angeboten, vor allem wenn es sich um einen der heiß begehrten signalgelben T5-R Turbos handelte, von Fans ,,T-yellow" oder auf Schwedisch ,,T-Gul" genannt. Ging da noch mehr? Aber sicher, gab Göteborg allen Leistungsfetischisten zu verstehen und legte den Volvo 850 R mit 184 kW/250 PS auf. Damit etablierte sich der Polarexpress endgültig als Alternative zu den sportlichsten deutschen Lifestyle-Lastern. Schon seit 1994 war in Deutschland jeder zweite verkaufte Volvo ein 850 (mehrheitlich als Kombi), vor allem aber belegte die Baureihe in Schweden Platz eins der Zulassungsstatistik. Im nationalbewusst kaufenden Königreich eine Sensation, schließlich wurde der 850 in Belgien gebaut.

Und für Volvo eine willkommene Belohnung für die größte Entwicklungsinvestition in der schwedischen Industriegeschichte, denn die Konstruktion des Modells 850 nahm bereits 1978 ihren Anfang und währte 15 Jahre, bis die Baureihe 1993 mit Limousine und Kombi komplett war. Zusammen mit den 1997 lancierten Facelift-Typen Volvo S70 und V70 wurden von der Baureihe in neun Jahren 1,28 Millionen Einheiten ausgeliefert, jeder zweite davon war ein Kombi. Trotz dieses Erfolgs verlor Volvo jedoch 1999 seine Unabhängigkeit, das schwedische Vorzeigeunternehmen kam damals unter das Dach von Ford, nachdem zwei andere Fusionsversuche mit Saab und Renault gescheitert waren. Mit den eckigen und kubischen Designs war es ab der Jahrtausendwende für Volvo ebenfalls vorbei, auch deshalb zählt der kantige 850 längst zu den besonders gesuchten familientauglichen Youngtimern und Klassikern.

Ab diesem Jahr dürfen sich die ersten Volvo 850 Kombis mit einem Oldtimer-Kennzeichen schmücken - auch wenn ihre Sicherheitsausstattung und ihr Fahrspaß-Potential weit moderner wirken.



Chronik:

1978: Im Rahmen des Entwicklungsprojekts Galaxy wird die Entwicklung des Volvo 850 angeschoben

1982: Die ersten Prototypen des 850 werden präsentiert

1987: Ein seriennahes Design des Volvo 850 wird zur Finalisierung freigegeben

1988: Erste Erlkönigfotos des seriennahen Volvo 850 werden veröffentlicht. Ausstattung des neuen Volvo-Werks Gent (Belgien) mit Maschinen und Werkzeugen. Zielvorgabe ist es, in Woche 9115, also in der 15. Woche des Jahres 1991 die Produktion des Modells Volvo 850 zu starten

1990: Auf dem Amsterdamer Salon kommuniziert Volvo die angestrebte Allianz mit Renault

1991: Am 11. April Produktionsstart und endgültige Namensfindung für die Volvo-Limousine 850 GLT. Auf der IAA feiert der Volvo 850 seine Messepremiere. Die Entwicklung des Volvo 850 hat 16 Milliarden Kronen gekostet und gilt als bis dahin teuerste jemals in Schweden getätigte Investition in eine Automobilentwicklung

1992: Im Sommer Einführung der neuen Einstiegsversion 850 GLE mit 103 kW/140 PS. Ende des Jahres Anlauf der Vorserienproduktion des Volvo 850 Kombi.

1993: Auf dem Genfer Salon feiert der Volvo 850 Kombi Ende Februar Weltpremiere. Volvo entscheidet sich bei der Preisfindung für den 850 Kombi für eine damals unkonventionelle Gleich-Preise-Strategie, das heißt, dass die 850-Kombi-Versionen keinen Aufpreis gegenüber den vergleichbaren Limousinen kosten. Im August debütiert der 850 T5 (Turbo) mit 165 kW/225 PS Leistung als bis dahin stärkster Volvo aller Zeiten. Im Mai läuft der letzte Volvo 240 Kombi, der Vorgänger des 850, vom Band. Auf der IAA präsentiert Volvo eine überarbeitete Version des 850 mit neuen Scheinwerfern, Stoßfängern und modifiziertem Interieur. Das Zusammengehen von Renault und Volvo scheitert am Veto der Aktionäre

1994: In Japan wird der 850 Kombi mit dem begehrten ,,Good Design Award" ausgezeichnet. Bei der Wahl zum Medienpreis ,,Auto-Trophy 1994" wird der Volvo 850 zum besten Kombi gekürt. Seit Marktstart hat die Baureihe bereits 30 internationale Preise gewonnen. Auf dem Genfer Salon feiert der 850 T-5R mit 176 kW/240 PS starkem Fünfzylinder-Turbo Weltpremiere. Die Produktion erfolgt in

limitierter Auflage von insgesamt 7.500 Einheiten und dies in drei Serien. Volvo feiert seine Rückkehr in den Tourenwagensport mit einem 213-kW/290-PS-starken 850 Kombi, der von Richard Rydell erfolgreich in der British Touring Car Championship BTCC eingesetzt wird

1995: Im März kündigt Volvo einen 850 Kombi mit Allradantrieb an, der allerdings erst im Folgejahr vorgestellt wird. Seitenairbags sind nun im Volvo 850 serienmäßig. Im Modelljahr 1995 erreicht der 850 sein bestes Verkaufsergebnis mit 88.430 Limousinen und 88.961 Kombis. Von 1995 bis 1997 startet der 850 Kombi beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring.

1996: Mit 64.900 Mark ist der 850 T5 das bis dahin teuerste Volvo Großserien-Modell aller Zeiten. Der 850 AWD debütiert als erster Volvo Großserien-Pkw mit Allradantrieb. Neues Spitzenmodell ist der Volvo 850 R Kombi mit 184 kW/250 PS

1997: Produktionsstart der Modelle Volvo S70 und V70 (Kombi) als Weiterentwicklungen des 850. ,,S" steht für Sedan, ,,V" für Versatility, ,,C" für Coupé bzw. Cabriolet. Das C70 Cabriolet geht als erstes Volvo Großseriencabriolet in Produktion. Vorstellung des Kombis Volvo V70 XC als ,,Cross-Country"-Modell

1999: Volvo wird vom Ford-Konzern übernommen

2000: Produktionsauslauf der zuletzt S70 Classic und V70 Classic genannten Weiterentwicklungen des Volvo 850

2023: Der Volvo 850 Kombi erreicht das Oldtimeralter von 30 Jahren und ist ein Kandidat für das amtliche H-Kennzeichen. Als moderner Nachfolger des Volvo 850 Kombi reüssiert der Volvo V60

Wichtige Motoren:

Volvo 850 Kombi mit 2,0-Liter-Fünfzylinder-Benziner (93 kW/126 PS)

Volvo 850 Kombi mit 2,4-Liter-Fünfzylinder-Benziner (103 kW/140 PS bzw. 106 kW/144 PS)

Volvo 850 Kombi mit 2,4-Liter-Fünfzylinder-Benziner (125 kW/170 PS)

Volvo 850 T5 Kombi mit 2,3-Liter-Fünfzylinder-Benziner (165 kW/225 PS)

Volvo 850 T-5R Kombi mit 2,3-Liter-Fünfzylinder-Benziner (176 kW/240 PS)

Volvo 850 R Kombi mit 2,3-Liter-Fünfzylinder-Benziner (184 kW/250 PS)

Volvo 850 TDI Kombi mit 2,5-Liter-Fünfzylinder-Turbo-Diesel (103 kW/140 PS)

Volvo 850 AWD Kombi (ab 1996) mit 2,4-Liter-Fünfzylinder-Benziner (142 kW/193 PS).

Preisbeispiele:

Volvo 850 Kombi GLE (1993): ab 46.600 Mark

Volvo 850 Kombi GLT (1993): ab 52.990 Mark

Volvo 850 Kombi 2,0 10V (1995): ab 46.400 Mark

Volvo 850 Kombi 2,5 10V (1995): ab 48.400 Mark

Volvo 850 Kombi 2,5 20V (1995): 51.400 Mark

Volvo 850 Kombi T5 (1995): ab 63.200 Mark

Volvo 850 Kombi 2,0 10V (1996): ab 47.400 Mark

Volvo 850 Kombi 2,5 10V (1996): ab 49.800 Mark

Volvo 850 Kombi 2,5 20V (1996): 52.900 Mark

Volvo 850 Kombi T5 (1996): ab 64.900 Mark.

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