30 Jahre Mercedes-Benz C-Klasse (W 202)

30 Jahre Mercedes-Benz C-Klasse (W 202) - Ein Karrieretyp

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Der Nachfolger des Baby-Benz wird jetzt zum Oldtimer Foto: Mercedes-Benz Classic Archive

Mit dem ,,Baby-Benz' alias Typ 190 erweiterte Mercedes sein Modellprogramm nach unten, aber erst mit der etwas größeren C-Klasse von 1993 und adrenalinhaltigen AMG-Modellen etablierten die Stuttgarter endgültig einen Fixstern für Premium und Prestige in der Mittelklasse. Jetzt wird dieser charismatische Karrieretyp zum Oldtimer.  

Die Mauer zwischen Ost und West war weg, die Europäische Union wurde gegründet, manch modebewusster Mann trug plötzlich Kajal, die Girlie-Kultur avancierte zur Massenbewegung - und die konservative Marke Mercedes wurde cool. Im Jahr 1993 waren disruptive Veränderungen fällig, und die erste Mercedes-Benz C-Klasse (W 202) spiegelte diese Neuausrichtung wider. Schon der vom Volksmund ,,Baby-Benz" genannte Vorgänger-Typ 190 hatte die Marke mit dem Stern in der dynamischen Mittelklasse etabliert, also dort wo bis dahin BMW 3er oder Audi 80 (quattro) das Sagen hatten. Aber mit der C-Klasse ging Mercedes einen Schritt weiter: Gemeinsam mit dem Tuner AMG entwickelte Hochleistungssportler, V8-Motoren wie in der staatstragenden S-Klasse und Vierzylinder mit kraftvollen Roots-Kompressoren als Reminiszenz an die furiosen ,,Roaring Twenties" mit Kompressor-Rennwagen. So viel Sportlichkeit in der Mittelklasse überraschte sogar die Fachwelt.

Allerdings konnte Mercedes gar nicht anders, denn seit Ende der 1980er Jahre zogen sich dunkle Wolken über dem Stuttgarter Stern zusammen. 1992 verkaufte BMW erstmals mehr Autos als die Daimler-Benz AG, die sogar zum ersten Mal seit 30 Jahren Arbeitsplätze abbauen musste. Eine neue, nach ,,Klassen" strukturierte Nomenklatur entsprechend dem Vorbild der 1972 lancierten S-Klasse und die C-Klasse als erste Fahrzeugfamilie nach diesem Typen-Muster sollten es nun richten.

Die Schlagzeilen der Wirtschaftspresse über Mercedes, die Pkw-Division des Technologiekonzerns Daimler-Benz, lasen sich Anfang 1993 dramatisch, von ,,noch höheren Verlusten als erwartet" und ,,miserablen Absatzerwartungen" wurde geschrieben. Allerdings hatten die Medien den Erfolg der neuen C-Klasse unterschätzt, von wegen ,,schlechte Jahre für Mercedes". Mit der viertürigen Limousine W 202 und dem 1996 nachgeschobenen Kombi T-Modell (S 202) lancierte Mercedes einen Fixstern in der Mittelklasse, der bis zu Jahrtausendwende Maßstäbe setzte. Keiner der vielen aus anderen Nationen neu hinzu gekommenen Premium-Kontrahenten konnte gegen den schwäbischen Karrieretyp punkten, die C-Klasse blieb mit 1,85 Millionen Einheiten in nur gut sieben Jahren der Bestseller. Eine Stückzahl, für die der Vorgänger Mercedes 190 drei Jahre länger brauchte. Mehr noch: Die C-Klasse positionierte Mercedes-Benz schon 1993 wieder auf der Pole-Position im deutschen Premium-Produktionsranking, und konnte sogar die Rückgänge bei der alternden E-Klasse (W 124) und der S-Klasse (W 140) ausgleichen. Tatsächlich orientierte sich die repräsentative Designsprache der unter Stardesigner Bruno Sacco gezeichneten C-Klasse auch an der kurz zuvor eingeführten S-Klasse.

So traf die Baureihe 202 den Nerv der hedonistischen Gesellschaft der 1990er weit besser als es die ambitionierten Charaktertypen von Alfa (156), Jaguar (S-Type), Lancia (Lybra), Lexus (IS), Rover (75), Saab (9-3) oder Volvo (850) vermochten. Auch gegen die preiswerteren Audi A4 und den in vielen Karosserievarianten verkauften BMW 3er konnte sich der charismatische Mercedes im Zeichen des C - der Buchstabe stand für ,,Compact" und die Typenzahl von C 180 bis C 55 für den Hubraum - erstaunlich gut behaupten. Die Entwicklung der Baureihe 202 begann schon Mitte der 1980er, als der Mercedes 190 gerade vom Shootingstar zum Dauerbrenner mutierte und die Käufer mancher Modelle im Handel noch um Zuteilung eines Exemplars bettelten. Ja, so etwas gab es tatsächlich, sogar Aufpreise für zuteilungsreife Kaufverträge wurden im Kleinanzeigenteil der Zeitungen gefordert - etwa für Racer wie den 190 E 2.3-16. Vorbilder, denen die C-Klasse mit verschiedenen AMG-Versionen folgte. Wie ließ sich diese Flamme der Begeisterung in die Zukunft tragen, fragte sich das Entwicklungsteam der künftigen C-Klasse? Denn mit dem Auto wurde allmählich nicht mehr eine hierarchische Position in der Gesellschaft dokumentiert.

Prestige und Protz durch große, schwere Karosse erhielten von den europäischen Yuppies der späten 1980er eine Absage, gefragt waren stattdessen individuelle Ausstattungen. So wie sich damals Diäten von FdH über Atkins bis Low Fat zu Philosophien entwickelten, boomten aerodynamische Leichtbaukonstruktionen in der Automobilwelt. Deshalb wurden Schwergewichtler wie die unter Bundeskanzler Helmut Kohl staatstragende S-Klasse (W 140) in Deutschland als zu füllig kritisiert, aber die C-Klasse mit Bodyshaping durch Bruno Sacco galt als Blickfang. Dazu trugen vier verschiedene Design- und Ausstattungslinien bei: Classic, Esprit, Elegance und Sport setzten individuelle Akzente, hinzu kam ein AMG Stylingpaket. Heute gibt es solche Differenzierungen sogar für preiswerte Kleinwagen, damals aber war so viel Individualismus ein Novum - vor allem bei einer konservativen Marke wie Mercedes. Auch das 1996 aufgelegte erste T-Modell der C-Klasse profitierte von diesem Individualisierungsprogramm und reüssierte zudem als vorbildlich geräumiger Lifestylelaster mit bis zu 1.510 Liter Stauraum.

Zu den Technik-Highlight zählten neue Sicherheitsfeatures - da versuchte die C-Klasse Anschluss an den Volvo 850 zu finden - wie serienmäßiger Fahrer-Airbag, Seitenaufprallschutz, ABS und später auch Sidebags, Gurtkraftbegrenzer sowie der elektronische Bremsassistent BAS zeigten. Regelrechte Paukenschläge setzte das Motorenprogramm im kompakten Mercedes: Die Dieselfraktion freute sich 1995 über den C 250 als ersten deutschen Turbodiesel-Pkw mit Vierventiltechnik und Ladeluftkühlung und 110 kW/150 PS für sportive Fahrleistungen, ehe zwei Jahre später der 92 kW/125 PS abgebende C 220 CDI die laufruhige und effiziente Common-Rail-Technik in die deutsche Pkw-Produktion einführte. Weit in die Zukunft wiesen auch vollelektrische C-Klasse-Modelle, die allerdings wie zuvor beim Modell 190 nur als Versuchsfahrzeuge stromerten.

Für alle Leistungsfetischisten hielten nicht nur Tuner wie Brabus ein wildes Biest (300 kW/408 PS im C V8) bereit. Mercedes hatte 1990 eine Kooperation mit AMG vereinbart und präsentierte drei Jahre später den optisch dezenten C 36 AMG als erstes Ergebnis. Ein Wolf im Schafspelz mit 3,6-Liter-Reihensechszylinder und 206 kW/280 PS Leistung - mehr Power als ein Porsche 911 Carrera bereitstellte. Nur ein Jahr später dominierte die AMG-C-Klasse mit einem 294 kW/400 PS leistenden 4,2-Liter-V8 die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) - nachdem Alfa Romeo 1993 den Mercedes 190 vom Thron des Champions gestürzt hatte. Und in der Formel 1 wurde ab 1996 ein C 36 AMG als Safety Car eingesetzt. Rennsport-Faszination, die Mercedes mit Sondermodellen feierte - und 1997 mit dem C 43 AMG zum vorläufigen Zenit führte. Denn dieser Bolide tobte mit einem 225 kW/306 PS freisetzenden V8 um Kurven und über die linke Spur, bis er nur ein Jahr später vom C 55 AMG getoppt wurde. Mittelklasse ist bei Mercedes nicht mittelmäßig, sondern immer auch ein wenig S-Klasse, das stellte schon die erste C-Klasse klar. Kein Wunder, dass heute die V8-Versionen in der Klassikerszene besonders begehrt sind.



Chronik:
1982: Im Dezember wird die unter Bruno Sacco designte Limousine Mercedes-Benz 190 (W 201) präsentiert. Dies als dritte Mercedes-Baureihe unterhalb der Reihe 200 D bis 280 E (W 123). Mit diesem ersten Schritt hin zu einer Ausweitung der Baureihen weist der Typ 190 in die Zukunft von Mercedes-Benz, die von größerer Modellvielfalt bestimmt wird. Eigens für den W 201 wird die Raumlenker-Hinterachse konstruiert, die jedes Hinterrad an fünf unabhängigen Lenkern führt
1983: Zum Jahresbeginn Marktstart mit den Typen 190 und 190 E mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 90 PS bzw. 122 PS, später folgen Diesel- und Sechszylinder-Motorisierungen
1986: Im Spätjahr beginnt die Entwicklung eines Nachfolgers für den Mercedes 190,
zwei Jahre später entstehen Designkonzepte für diese künftige C-Klasse (W 202)
1988: Erste große Modellpflege für den Mercedes 190. Neues Topmodell ist der Typ 190 E 2.5-16 mit 195 PS, in weiteren Evolutionsstufen bringt er es später auf bis zu 235 PS. Dieser Typ dient auch als Basis für Motorsportfahrzeuge, mit denen Mercedes-Benz Erfolge erzielt, bis hin zum Titelgewinn der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) im Jahr 1992
1990: Das Design der künftigen C-Klasse - entwickelt unter der Leitung von Bruno Sacco - wird verabschiedet und zum Patent angemeldet
1993: Im Januar informiert Mercedes-Benz die Presse über eine neue Produktstrategie und die Aufteilung der Produkte in die C-Klasse, E-, S-, G- und SL-Klasse. Nach dem Start der Vorserie zu Beginn des Jahres stellt Mercedes-Benz am 10. Mai im Zuge einer neuen Nomenklatur die C-Klasse der Baureihe 202 als Nachfolger des Typs 190 (W 201) vor. Im September debütiert auf der IAA in Frankfurt die C-Klasse in AMG-Version (C 36 AMG) mit 206 kW/280 PS Leistung, dies als erstes gemeinsames Projekt von Mercedes-Benz mit dem 1967 gegründeten Ingenieurbüro AMG. Später legen auch Tuner Varianten der C-Klasse auf, etwa Brabus den C V8 mit 300 kW/408 PS Leistung. Bis 1997 werden vom C 36 AMG insgesamt 5.221 Einheiten gebaut. Die neue Mercedes-Limousine verfolgt mit den vier eigenständigen Design- und Ausstattungslinien Classic, Esprit, Elegance und Avantgarde eine neue Angebotsphilosophie, die unterschiedliche Kundengruppen erreichen soll. Fahrer-Airbag, Seitenaufprallschutz, Servolenkung, ABS und Zentralverriegelung zählen zur nun ausgebauten Serienausstattung. Die Produktion des Mercedes 190 in den Werken Sindelfingen und Bremen läuft aus nach 1.879.630 Fahrzeugen, damit ist die Baureihe W 201 eine der erfolgreichsten der Stuttgarter Marke. Mercedes produziert schon im ersten Jahr 163.619 Einheiten der C-Klasse
1994: Die C-Klasse AMG ist das Siegerfahrzeug in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) unter Klaus Ludwig und im Folgejahr unter Bernd Schneider. Motorisiert ist der Renn-Tourenwagen mit einem 294 kW/400 PS starken 4,2-Liter-V8, abgeleitet vom S-Klasse-Motor (Baureihe W 140). Das C-Klasse Sondermodell DTM-Edition wird aufgelegt. Mercedes liefert 314.669 Einheiten der C-Klasse aus, damit ist Mercedes-Benz im Produktionsranking mit 590.060 Einheiten wieder vor BMW (573.080 Einheiten). In der Mittelklasse liegt die Mercedes C-Klasse vor dem Audi 80/A4 (221.195 Einheiten), aber hinter dem BMW 3er (389.808 Einheiten)
1995: Im Februar liefert Mercedes das 500.000ste Exemplar der C-Klasse (Baureihe 202) aus. Mit einem Roots-Kompressor im C 230 Kompressor (142 kW/193 PS Leistung) führt Mercedes die Ära der Kompressor-Modelle aus den 1920er und 1930er Jahren in die Gegenwart. Der C 250 Turbodiesel debütiert als erster Turbodiesel-Pkw mit Vierventiltechnik und Ladeluftkühlung. Eine Modellpflege bringt im September u.a. neue Polsterbezüge, neue Cockpit-Elemente (abgerundete Schalter, neues Heizungs- und Klimabedienteil) sowie grau-rote Heckleuchten und weiße Blinkergläser. Passend zum Sponsoring der ATP-Tour legt Mercedes ein ATP-Sondermodell der C-Klasse auf. Mercedes erprobt mit C-Klasse-Limousinen den batterieelektrischen Antrieb. Mercedes liefert 302.115 Einheiten der C-Klasse aus  
1996: Mit dem Kombi T-Modell (S 202) beginnt die Karosserievielfalt in der C-Klasse. Der Ladekünstler wird zusammen mit der Limousine im Werk Bremen gebaut. Neu sind außerdem die vereinheitlichten und modifizierten Vierzylinder-Ottomotoren mit Heißfilm-Luftmassenmesser (HFM-System) für die Einspritzanlage. Außerdem gibt es im Optionenprogramm für die C-Klasse nun eine Fünfgang-Automatik mit elektronischer Steuerung statt der bisherigen Viergang-Automatik. Die C-Klasse wird offizielles Safety Car in der Formel 1
1997: Zur Modellpflege 1997 erhält die C-Klasse neu gestaltete Stoßfänger, in Wagenfarbe lackierte Seitenschweller, getönte Heckleuchten, eine leicht modifizierte Kühlermaske, neue Türverkleidungen und Sitzbezüge. Hinzu kommen serienmäßige Sidebags vorn, Leistungsgurtstraffer mit Gurtkraftbegrenzern vorn sowie der elektronische Bremsassistent BAS. V8-Motor (90 Grad Zylinderbankwinkel) in der C-Klasse im 225 kW/306 PS leistenden C 43 AMG. ESP ist Sonderausstattung in V6-Typen, ab 1999 Serienstandard. Der 92 kW/125 PS starke C 220 CDI debütiert als erster Mercedes-Diesel-Direkteinspritzer und erster deutscher Diesel mit Common-Rail-Technik. Mercedes produziert 273.585 Einheiten der C-Klasse, damit bleibt die C-Klasse erfolgreichstes Modell der Marke
1998: Neuer Leistungsträger ist der C 55 AMG mit 255 kW/347 PS aus einem 5,5-Liter-V8 (0-100 km/h in 5,5 Sekunden). Neu ist außerdem das C-Klasse-Sondermodell Champion. Mercedes produziert immer noch 254.943 Einheiten der C-Klasse
2000: Generationenwechsel; auf die in über 1,8 Millionen Einheiten gebaute C-Klasse-Baureihe 202 folgt die neue Baureihe 203, die erstmals auch als Sportcoupé lieferbar ist und durch ein ,,Vier-Augen-Gesicht" Designakzente setzt
2001: Das bisherige T-Modell (S 202) wird im Januar aus dem Angebot gestrichen
2021: Debüt für die seit 1993 fünfte C-Klasse (Baureihe 206), diese wird als Limousine und als Kombi T-Modell vorgestellt, Ende April ergänzt um eine Langversion der Limousine für den chinesischen Markt
2023: Die erste Mercedes-Benz C-Klasse (Baureihe 202) feiert 30. Geburtstag mit zahlreichen Events, dies u.a. bei Klassikermessen in Bremen (Classic Motorshow) und Essen (Techno Classica). Außerdem kann für die ältesten C-Klasse-Fahrzeuge nun ein H-Kennzeichen beantragt werden. Besonders in AMG-Versionen gilt die C-Klasse als gefragtes Klassiker-Modell

Produktionszahlen:
Mercedes-Benz C-Klasse, Baureihe 202 (1993-2001): 1.847.382 Einheiten (davon 1.626.135 Einheiten als Limousine, 243.871 Einheiten als T-Modell, 5.221 Exemplare als C 36 AMG);
zum Vergleich:
Mercedes-Benz 190, Baureihe 201 (1982-1993): 1.879.630 Einheiten;
Mercedes-Benz C-Klasse, Baureihe 203 (2000-2008): 2.214.503 Einheiten.

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