Lastenrad-Boom - Fluch oder Segen?

Lastenrad-Boom - Fluch oder Segen? - Platz da, jetzt komm' ich

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  • 20. September 2023, 16:52 Uhr
  • Hanne Schweitzer/SP-X
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Lastenräder, hier das Elops R500E von Decathlon, erfreuen sich in Deutschland wachsender Beliebtheit Foto: Decathlon

Einen wichtigen Beitrag für eine umweltfreundliche Verkehrswende in den Städten können Lastenräder leisten. Doch der Boom der Cargo-Bikes geht mittlerweile vielen auch auf die Nerven. Und nicht nur die Autofahrer sind erbost.

Wenn selbst in einem 2.500-Seelen-Dorf in der norddeutschen Tiefebene vor dem Supermarkt ein Lastenfahrrad einparkt, wird klar: Das Cargobike ist wirklich überall angekommen. 212.000 Lastenräder sind allein 2022 verkauft worden, gut ein Viertel mehr als im Jahr zuvor. Die vormalige Nische wächst noch schneller als das ohnehin florierende Fahrradgeschäft - nach Angaben des Zweirad-Industrieverbandes (ZIV) vor allem aufgrund der hohen Beliebtheit elektrischer Cargobikes; ihre Verkäufe sind sogar um mehr als ein Drittel gestiegen.

Und das bei Einstiegspreisen von um die 3.000 Euro; für Modelle der dänischen Hipster-Marke Butchers & Bicycles oder der deutschen Premium-Marke Riese & Müller kann man auch locker das Doppelte oder noch mehr ausgeben. Die Angebotsvielfalt steigt schneller als die Mutter vier Kinder ins Babboe Big bugsiert hat: Von Long Johns (einspurig, wendig, Ladefläche zwischen Vorderrad und Lenker), über Longtails (einspurig mit extralangem Gepäckträger) und Bäckerfahrrad (einspurig, mit Ladefläche vorn und hinten), bis zum Dreirad mit Kiste oder Ladefläche zwischen den beiden Vorderrädern, wahlweise mit Neigefunktion für mehr Wendigkeit - um hier nur einige Möglichkeiten zu nennen.

Wobei wir auch schon mitten im Klischee wären. Vielen gilt das Lastenfahrrad als E-SUV unter den Fahrrädern: groß, schwer, teuer und für eine bestimmte Klientel geeignet, die sich klimapolitisch korrekt geben will. Ein bisschen ist was dran: Bei jungen, wohlsituierten Mittelschichtsfamilien gehört ein Lastenrad in bestimmten urbanen Gegenden zum guten Ton.

Aber es gibt eben auch immer mehr Privatmenschen ohne Kind oder Hund, die ihren (Zweit-) Wagen abschaffen, um sich - zum Beispiel über Dienstradleasing des Arbeitgebers - eines der neuen, hippen Elektro-Lastenräder anzuschaffen, mit denen sie ihren Alltag zwischen Job, Wochenendeinkauf und Hobby bewältigen.

Mobilitätsexperten und Politik haben für das Lastenrad eine tragendere Rolle vorgesehen: Das (Elektro-)Lastenrad soll auch gewerblich genutzt zur Verkehrswende in urbanen Regionen beitragen. Beispielsweise in der Logistik: Mindestens 30 Prozent der Pakete in der Stadt könnten nach Experteneinschätzung per Lastenrad ausgeliefert werden. 2022 waren es rund sechs Millionen - von 4,2 Milliarden Sendungen insgesamt.

Lebensmittel-Lieferdienste oder kleine Handwerksbetriebe kommen in der Stadt mitunter schon per Cargobike. Seit einigen Jahren wird die Radlogistik in verschiedenen Projekten durch den Bund gefördert, so gibt es derzeit bis zu 2.500 Euro von der Bafa. Die Nachfrage nach gewerblichen Cargobikes und Anhängern hat angezogen, 2022 um 104 Prozent - auf ein allerdings noch niedriges Niveau von 27.300 Stück.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Gespartes CO2, weniger Lärm, weniger beanspruchter Platz auf der Straße und beim Parken. Außerdem kennen Lastenrad-Fahrer weder Stau noch Parkplatznot - so weit die Theorie. Denn in der Praxis ist die Infrastruktur noch nicht auf den Boom ausgelegt. Das fängt bei fehlendem Abstellmöglichkeiten für große Fahrräder auf Bürgersteigen an und hört bei Fahrradwegen nicht auf.

So sind auf gepflasterten Bürgersteigen angelegte Radwege oft zu schmal oder zu holprig, um sie mit einem Lastenrad zu befahren. Außerdem teilen sich die voluminösen Bikes den ohnehin begrenzten Platz auf den meist engen Wegen mit anderen Radlern und E-Roller-Fahrern. Und genau wie bei Autofahrern sorgen unterschiedliches Tempo und fehlende Überholmöglichkeit für Unmut. Weichen die Zwei- oder Dreiradfahrer auf die Straße aus, werden sie von oft verärgerten Autofahrern bedrängt.

Der Verteilungskampf zwischen Auto- und Radfahrer um den Platz auf der Straße ist nicht neu. Trotzdem scheint sogar eine Eskalation möglich: Der Plan von Kommunen und Zukunftsforschern, die Stadt zugunsten des Fahrrads mit weniger Raum fürs Auto umzubauen, lässt den Volkszorn landauf, landab hochkochen.  

Für eine Lösung kommen beide Seiten nicht umhin, einzulenken. Allein zugunsten der Verkehrssicherheit müssten mehr und bessere Radwege geschaffen werden. Wird eine Fahrspur umgewidmet oder eine Tempo-30-Zone eingerichtet, können Autofahrer auf perspektivisch mehr Platz auf der Straße hoffen, weil Menschen auf das Rad umsteigen werden. Gleichzeitig dürfen (Lasten-)Radfahrer nicht vergessen, dass auch sie sich an die Verkehrsregeln halten müssen, was umso wichtiger ist, je voller es wird.

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