Oldtimer

Tradition: 70 Jahre Volvo Kombis vom Duett zum V90 - Aller Kombi Anfang und Ende

img
Mit dem PV 445 Duett begann die Kombi-Historie bei Volvo Foto: Volvo

Volvo und Kombi, das war für Skandinavien-Fans lange Zeit ein Synonym. Schließlich haben die Schweden schon vor 70 Jahren erkannt, was Familien brauchen: Einen schicken Lademeister vom Format des legendären Volvo Duett, Amazon, 240, 850 oder V90. Aber jetzt bedroht der Trend zum SUV die Kult-Kombis

Ingvar Kamprad hatte 1953 eine clevere Idee. Der schwedische Möbelgigant aus dem idyllischen Småland verpackte seine zerlegten Regale in flache Pakete, so konnten seine Kunden die Ware bequem im eigenen Auto mitnehmen. Vor allem, wenn sie mit dem vor 70 Jahren neu vorgestellten Volvo PV 445 Duett vorfuhren, dem Urvater der skandinavischen Kombi-Bewegung. Die Wirtschaft im schwedischen Wohlfahrtsstaat florierte damals, immer mehr Familien konnten sich ein eigenes Auto für die Fahrt in die Wochenend-Stuga leisten, zumal wenn das Fahrzeug werktags als Arbeitsgerät diente. So wie der legendäre Volvo Duett, dessen Namen die Doppelfunktion Transporter und Familienfahrzeug symbolisierte.

Während hierzulande der Opel Caravan zum Vorreiter schicker Kombis avancierte, setzte sich der Volvo Duett mit großzügiger Verglasung global als konkurrenzlos großer Lademeister in Szene. Sogar manche Amerikaner liebten den 4,40 Meter kurzen und unverwüstlich robusten Volvo mehr als die im Interieur oft engeren US-Straßenkreuzer. Bis 1969 blieb der Duett in Produktion, da hatte er den nordischen Kombi-Stammbaum bereits erweitert: Der Volvo Amazon folgte 1962. Und 1967 kam der kantige Volvo 145, aus dem sieben Jahre später der 240 Kombi hervorging, für viele Fans bis heute ,,der Volvo unter den Volvo". Aber auch die Raumriesen Volvo 740/760 aus den 1980ern sind unvergessen. Frontantrieb und Allrad brachte 1993 der Volvo 850, und heute sind es die Typen Volvo V60 und V90, die Kultstatus in der Kombiszene genießen. Trotzdem: Der SUV-Trend killt die Kombi-Stars.

In TV-Schmonzetten vor schwedischer Kulisse sind klassische Volvo-Kombis wie der PV 445 Duett bis heute heute gut fürs sorgenfreie Bullerbü-Gefühl. Aber Nordic-Noir-Krimis und auch die schwedischen Polizeibehörden präferieren schon seit Jahren angesagte SUV wie den Volvo XC60. Tatsächlich kommt der Kombi global aus der Mode, daran ändern auch Elektrifizierungsversuche einiger Hersteller wenig. Nicht nur in Großbritannien - traditionell einer der größten Volvo-Märkte - wurden die aktuellen Vielseitigkeitskünstler Volvo V60 und V90 deshalb bereits aus dem Verkaufsprogramm gestrichen. 70 Jahre nach ihrer Premiere könnte für die Volvo Kombis bald der letzte Vorhang fallen. Zeit für einen Rückblick.

Auf die Idee der großen Klappe oder Hecktür als Kennzeichen familien- und freizeitfreundlicher Funktionalität kam schon Assar Gabrielsson, einer der beiden Gründer-Väter von Volvo. Gabrielsson ärgerte sich über einen großen Lagerbestand unverkaufter Chassis des Typs PV 445, die anfangs von unabhängigen Karossiers mit Lieferwagen-Aufbauten versehen wurden. Warum nicht alles selbst machen, fragte er sich und wies seinen Chefingenieur Erik Skoog an, ein Auto zu entwickeln, das den bereits damals kultigen Buckel-Volvo PV 444 mit einem Transporter kreuzte. Duett nannte der kreative Volvo-Werbechef Sven Sundberg den Crossover-Volvo mit der Doppelfunktion Arbeitsgerät und Familienfahrzeug, und dieser Volvo konnte tatsächlich fast alles.

Mit modisch-schicker Zweifarbenlackierung, Chromglanz und Weißwandreifen und bequemen Sitzen bot er Pkw-Qualitäten, der riesige Laderaum packte, was Handwerker und Speditionen hineinpackten, und dies mit in seiner Klasse konkurrenzlos großer Zuladungskapazität. Der Duett bewältigte sogar problemlos Lasten von bis zu einer Tonne, auch wenn die offizielle Höchstzuladung weit darunter lag. Schnell überstieg die weltweite Nachfrage nach dem praktischen Schweden die Produktionskapazitäten - mit der Folge langer Lieferzeiten. Anfangs lagen die Notierungen für junge gebrauchte Duett daher sogar über den Neuwagenpreisen. Nicht zu vergessen die kräftigen Motorisierungen, mit denen der Volvo der europäischen Kombi-Konkurrenz wie Ford Taunus 12 M oder Peugeot 203 überlegen war. Als einzige nennenswerte optische Auffrischung erhielt der Duett im Jahr 1960 eine ungeteilte Windschutzscheibe und den neuen Namen Volvo P 210. Hätte es nicht 1969 striktere Sicherheitsnormen gegeben, wäre der robuste Duett vielleicht bis in die 1970er gebaut worden.

Sogar den Anfang 1962 eingeführten Amazon P 222 Kombi überlebte der Duett beinahe. Dabei hatte die Amazone unter den Kombis ihren Konkurrenten eine ganze Reihe an Attributen voraus: Hohe Zuverlässigkeit bei geringen Unterhaltskosten, sportive Fahrleistungen und - typisch Volvo - neuartige Sicherheitstechniken. Nicht zu vergessen die zeitlos elegante Form, die keine Mode mitmachen musste. Während der Bauzeit des Amazon P220 wechselte etwa der Opel Rekord gleich drei Mal sein Kleid und der Ford Taunus 17 M Turnier zeigte sich in vier Design-Generationen. Die robuste Konstruktion des nordischen Kombis spiegelte sich in schwedischen Statistiken, die dem Amazon das Doppelte der üblichen Pkw-Lebenserwartung bescheinigten.

Wie keine zweite Modellreihe prägten ab 1967 die kantig-kastenförmig gezeichneten Kombis der Baureihe 140 bzw. der 1974 folgende 240 das Image von Volvo als Hersteller fast unzerstörbarer, nüchtern funktionaler Familienfahrzeuge. 1976 wurde der Volvo 240 als weltweit erster Kombi mit geregeltem Katalysator präsentiert, und die US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA ernannte den Typ 240 zur Referenzbaureihe für ihre gesamte Sicherheitsforschung. Bis 1993 wurden von der Göteborger Mittelklasse rund eine Million Kombis verkauft, Rekord für die Schweden. Und wer wollte, bekam diesen Kombi auch als Sechszylinder 260, der Aufstieg ins Premiumsegment, den die kantigen Typen 740/760 und 940/960 in den 1980ern und Anfang der 1990er fortsetzten.

Die Typen 940 und 960 erfüllten alle Klischees, von cleveren Sicherheitstechniken bis zu unkaputtbarer Langlebigkeit oder als mit Abstand größte Frachter (2.130 Liter Kofferraumvolumen ließen Lademeister wie Ford Scorpio Turnier oder BMW 5er Touring geradezu winzig wirken). Letzter eckiger Volvo-Kombi war 1993 das Modell 850, das überdies den Vorderradantrieb in den gehobenen Klassen der Göteborger einführte und als 250 km/h flotter Turbo BMW und Audi herausforderte. Damit nicht genug der Antriebsrevolutionen, denn Ende 1996 debütierte der Volvo 850 AWD als erster nordischer Allrad-Fünftürer und Vorläufer des folgenden Crossover-Kombis V70 XC.

Selbstbewusst in unverwechselbarem schwedischem Stil sind bis heute der Mittelklasse-Kombi Volvo V60 und der große V90 im Angebot, beide optional als Plug-in-Hybride und auch in rustikaler Cross-Country-Optik. Allerdings stehen die einstigen Bestseller längst im Schatten der großen SUV-Familie. Wie die Oldtimerszene die Volvo Kombis einschätzt, erklärt Frank Wilke von der Bewertungsorganisation Classic Analytics: ,,Wer Volvo sagt, der meint Kombi, und an dem Klischee, dass auf jedem Lehrerparkplatz mindestens ein Volvo Kombi steht, ist mehr als ein Körnchen Wahrheit dran. Der Amazon Kombi ist dabei der seltenste, der 240er der typischste und der meist in gelb lackierte 850 T5-R der leistungsstärkste. Für ihn muss man im guten Zustand allerdings auch mindestens 30.000 Euro zahlen."



Chronik:
1949: Serienanlauf des PV 445 als Fahrgestell mit Motor, aber ohne Karosserie. Das Chassis wird von verschiedenen Karosseriebauern als Basis für Transporter, Kastenwagen und Cabriolets genutzt
1950: Langzeittests über 30.000 Kilometer mit einem PV 445 Lieferwagen bestätigen die Robustheit und Zuverlässigkeit von Chassis und Technik
1952: Volvo-Mitgründer und -Chef Assar Gabrielsson konstatiert einen Lagerbestand von 1.500 ungenutzten und nicht verkauften Fahrgestellen des PV 445. Für ihn Anlass, sein Entwicklungsteam mit der Konstruktion eines Kombis zu beauftragen
1953: Im Sommer übernimmt Assar Gabrielsson das erste Serienfahrzeug des Volvo Duett. Der Name wurde von Werbechef Sven Sundberg konzipiert und weist auf die Doppelfunktion des Volvo hin als Arbeitsgerät und Freizeitfahrzeug
1957: Eine optionale dritte Sitzbank macht den Duett zum Siebensitzer. Im Februar beginnt die Auslieferung des Volvo P 120 Amazon
1960: Im Sommer mutiert die Baureihe Duett PV 445 zum Duett P 210, denn der Basis-Pkw PV 444 wurde zum PV 544 weiterentwickelt   
1962: Neuer B-18-Motor lässt den Duett auf 60 PS erstarken. Im Februar debütiert der Volvo Amazon P220 in Kombiform
1963: Im September verlässt der erste in Nordamerika montierte Amazon das neue Werk Dartmouth/Nova Scotia
1967: Markteinführung des Volvo 145, der sowohl Amazon Kombi als auch Duett ersetzen soll
1968: Im August wird der Amazon P220 (Kombi) mit auf 2,0-Liter-Hubraum vergrößertem B20-Motor und Abgasreinigungssystem lieferbar. In Schweden wird ein Dragrace, bei dem ein Amazon P 220 zum Publikumsfavoriten avanciert. Es ist das erste Motorsport-Event, bei dem ein Kombi Schlagzeilen macht
1969: Der Amazon Kombi läuft aus. Aber auch die Produktion des Duett P 210 wird am 19. Februar eingestellt, da er die schwedischen Sicherheitsauflagen für Neuzulassungen nicht mehr erfüllt. Einführung des Volvo 145 Express, einer Hochdachvariante des Kombis. Modellpflege für die 140er-Reihe, diese sind nun mit Kopfstützen vorne und Sicherheitsgurten auf allen Sitzen ausgestattet
1974: Premiere der neuen Modellreihe Volvo 240 bzw. 245 als Evolution des Volvo 145  
1975: Vorstellung des Volvo 265 mit Sechszylinder-Motor
1976: Die amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA wählt den 240 als Referenzfahrzeug für die Definition künftiger Sicherheitsnormen. Fortan gilt die gesamte Baureihe 240/260 als ,,Sicherster Kombi der Welt"
1979: Sechszylinder-Diesel D6 von Volkswagen wird im 240 eingeführt, erster Sechszylinder-Diesel auf dem deutschen Markt
1981: Der einmillionste Volvo für Nordamerika, ein silberner 245, läuft in Göteborg vom Band. Volvo wird in den USA der größte europäische Importeur
1982: Der Volvo 760 wird eingeführt, später auch als Kombi lieferbar, dies als designierter Nachfolger des 240, der aber weiterproduziert wird
1984: Einführung des 740, später auch als Kombi
1990: Volvo 940 und 960 im debütieren Herbst und sollen den erfolgreichen Volvo 740 ersetzen, allerdings bleibt dieser als Basismodell Volvo 740 GL noch mehrere Jahre parallel im Angebot
1991: Das amerikanische Versicherungsinstitut IIHS bezeichnet den 240 als sicherstes Fahrzeug auf dem US-Markt. Debüt des 850 mit Frontantrieb und Reihen-Fünfzylinder als Nachfolger der Baureihen 240 und 740, zunächst in Limousinenform
1992: Einstellung der Produktion der 700er-Baureihe. Das amerikanische Versicherungsinstitut IIHS bezeichnet den 240 als sicherstes Fahrzeug auf dem US-Markt
1993: Einführung eines Kombis in die Modellreihe 850. Am 5. Mai läuft der letzte Volvo 240, ein Kombi der Sonderserie Polar, von einem Band
1994: Auf dem Genfer Salon feiert der bis dahin stärkste Volvo aller Zeiten Weltpremiere, der Volvo 850 T-5R mit 250-PS-leistendem Fünfzylinder. Motorsport-Comeback für Volvo mit einem Volvo 850 Kombi in der Rennserie ,,British Touring Car Championship", außerdem Volvo 850 mit SIPS (Side Impact Protection Airbag)
1995: Die in den Niederlanden gebaute kompakte Limousine Volvo S40 und der Kombi V40 sind das Ergebnis eines Joint-Ventures zwischen Volvo Cars und Mitsubishi Motors
1996: Mit 64.900 Mark ist der 850 T5 das bis dahin teuerste Volvo Großserien-Modell aller Zeiten. Der 850 AWD debütiert als erster Volvo Großserien-Pkw mit Allradantrieb. Als Weiterentwicklung des Volvo 850 werden Volvo S70 und V70 eingeführt. Im Herbst präsentiert Volvo die neuen Topmodelle S90/V90 als Nachfolger von 940/960, letzte Volvo-Verbrenner mit Hinterradantrieb
1997: Neu sind Volvo S70 und V70 als Evolution des 850
2000: Im Frühjahr debütiert die zweite Generation des V70. Dieser Kombi liegt in der Größe zwischen der etwas kleineren Limousine S60 und der Flaggschifflimousine S80
2003: Als Nachfolger des V40 feiert der Volvo V50 im Dezember sein Debüt, Marktstart im Folgejahr
2007: Im Sommer wird der Volvo V70 in dritter Generation vorgestellt, nun mit 4,82 Meter Länge
2010: Auf dem Pariser Salon debütiert der Volvo V60, ein 4,63 Meter langer Mittelklasse-Kombi
2011: Der Volvo V60 D6 Twin Engine debütiert als weltweit erster Diesel-Plug-in-Hybrid (elektrische Reichweite ca. 50 Kilometer), im Jahr 2012 startet der Vertrieb des Fahrzeugs in Deutschland
2016: Im April läuft die Produktion des Volvo V70 aus. Nachfolger wird der neue, 4,95 Meter lange Volvo V90, den es in der Folge auch als V90 Cross Country und als V90 mit Plug-in-Hybrid gibt
2018: Der Volvo V60 wird in zweiter Generation vorgestellt und später ebenso wie der V90 auch als Cross Country und als Plug-in-Hybrid eingeführt
2020: Facelift für den Volvo V90
2022: Der Volvo V60 erhält eine Überarbeitung
2023: Die Volvo Community feiert das Jubiläum 70 Jahre Volvo-Kombis, allerdings sind die Kombi-Verkaufszahlen rückläufig, und die Kombis V60 und V90 werden inzwischen nur noch auf wenigen Märkten angeboten

STARTSEITE