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Lexus' letzte 8-Zylinder - Arrivederci Otto

  • In AUTO
  • 22. April 2024, 16:09 Uhr
  • Peter Weißenberg/SP-X
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Wie viele andere Hersteller auch, wird die Toyota-Tochter Leuxs Modelle mit V8-Motor ab dem kommenden Jahr nicht mehr in Europa anbieten Foto: Lexus

Mit Lexus verabschiedet sich der nächste Hersteller in Europa von seinen Achtzylindern. Die regulatorischen Auflagen für diese klassischen Verbrenner-Antriebe sind einfach zu hoch. Gerade bei den Motoren der Japaner ist das auch ein Verlust von automobilem Kulturgut, wie eine Frühlingsfahrt durch Norditalien belegt.

,,Des isch a bella macchina", sagt Silvio in einer unnachahmlichen Mischung aus Südtiroler Deutsch und Italienisch - und schnalzt bekräftigend mit der Zunge. Der Helfer an der Tankstelle südlich von Bozen hat ja schon eine Menge Cabrios gesehen, aber bei dem ist der blonde Hüne sich doch nicht ganz klar, was er vor sich hat. "Italiano?" Nein, es ist genau genommen eben keine Macchina, sondern eine Fahrmaschine, Made in Japan.

Mit dem Lexus LC ist der Fahrer am frühen Morgen aus dem noch etwas frühlingsfrischen München Richtung Gardasee aufgebrochen - wie eine Menge anderer Cabriofahrer aus dem südlichen Bayern. Die lassen aber ihre Stoff- oder Stahlmützen meist geschlossen. Die Sonne wärmt bei acht Grad schließlich noch nicht so recht. Im Lexus ist solche Zurückhaltung fehl am Platze. Zum einen halten schließlich gleich zwei Windschotts aus Glas und Netz kühle Wirbel aus dem Rückraum auf, unterstützt von Sitzheizung, speziell abgestimmter Klimaanlage und wärmendem Nackenfön unter den Kopfstützen. Zum anderen aber sind wir schließlich unterwegs, um dem ganz besonderen Sound nachzuhorchen.
Acht Zylinder mit zusammen fünf Litern Hubraum verrichten in der langen Fronthaube ihr Kunsthandwerk - und machen das Erlebnis zu einem echten Kulturgut. Einem, das vom Aussterben bedroht ist. Denn wie viele andere Hersteller auch, wird die Toyota-Tochter diese Art des Antriebs ab dem kommenden Jahr nicht mehr in Europa anbieten. Die Ausfahrt in der Ultimate Edition ist also ein letztes Arrivederci für ,,Otto", wie die magische Acht in Italien heißt.

Und magisch trifft den Auftritt dieser Kombination aus großem Cabrio und kraftvollem Motor wirklich. Das hat sich schon an der Auffahrt Richtung Brenner gezeigt. Ein kurzer Druck aufs Gas - und der Antrieb zeigt, wie feinnervig er auf die Wünsche des Fahrers reagiert. Mit zackig steigender Drehzahl bis zu 7.300 Umdrehungen drückt die Kraft des Motors, von der Zehngang-Automatik animiert, dynamisch und seidig zugleich die Reisenden in ihre Sitze. Und das klassische pulsierende Blubbern, durch die Abgasanlage nochmals verstärkt, zeigt: Wer will, der kann Open End Richtung Passhöhe schießen. Erst bei 270 Stundenkilometer wäre theoretisch der Vortrieb aus dem V8 abgeregelt. Früher aber natürlich durch die wachsamen Gendarmen am Straßenrand. Und noch früher, weil eigentlich ja das Cruisen der wahren Natur dieses Fahrzeugs entspricht.

Dabei ziehen die japanischen Ingenieure und ihre Kollegen aus der Software-Abteilung ebenfalls alle Register, um die Motorengeräusche zu dämpfen. Verblüffend effektiv selbst beim Gleiten oberhalb der 100-Stundenkilometer-Marke. Möglich macht´s die aktive Geräuschunterdrückung, die alle störenden Frequenzen mit Gegenschall ausmerzt: Über die Lautsprecher ertönen dazu Geräusche, die einem unerwünschten niederfrequenten Dröhnen von Motor und Antriebsstrang entgegenwirken. Das Mikrofon, das die Störgeräusche erkennt, steckt in den Kopfstützen des Fahrersitzes - ganz nah am Ohr der Passagiere. So nimmt es einen größeren Frequenzbereich wahr, dank eines komplexen Algorithmus der Programmierkünstler unabhängig von der Sitzeinstellung. Mit dem Beifahrer lässt es sich so trotz geöffnetem Verdeck wie am heimischen Küchentisch plaudern, und nur die aufgeregten Blicke von Kühen und Schafen am Straßenrand zeigen, dass da doch von außen etwas zu hören sein muss.

Sämtliche verfügbaren Assistenten halten den Fahrer dabei mühelos und präzise in der Spur und auf Abstand. Da lässt sich das immer noch tief verschneite Panorama der Tiroler Alpen genießen. Und erst bei besagtem Tankstopp kurz hinter Bozen registrieren die Reisenden: Es ist so richtig Sommer: 28 Grad. Gut, dass Sonnenbrille, Basecap und Schutzcreme im Kofferraum liegen. Der hat übrigens trotz Verdeckkasten Platz für zwei Köfferchen, eine Handtasche und Jacken. Zur Not wäre ja auch auf dem schmalen Gestühl in Reihe zwei noch Platz. Aber da muß ja das Olivenöl hin, das wir beim Stopp auf dem Landhotel in Lazise am Ufer des Gardasees mitgenommen haben. Ein bisschen Luxus muss ja aus Italia den Weg nach Hause finden.

Weiter Richtung Mailand geht es in einem Achtzylinder ganz anderer Art: Denn auch die Tage des Sportwagens RC F mit diesem Antrieb sind gezählt. Fahrzeuge in der Modellpalette mit deutlich mehr als zehn Litern Durst auf zurückhaltend gefahrenen 100 Kilometern verderben eben durch die damit verbundenen CO2-Werte die strikten Vorgaben zum Flottenverbrauch. Und auch, wenn die Hersteller mit den Achtzylindern bis auf Fords Mustang stets deutlich mehr als 100.000 Euro für diese Antriebe aufrufen (der LC kostet in der Ultimate Edition 141.500 Euro) - eigentlich müssten die Fahrzeuge wegen der damit in Europa verbundenen Verbrauchs-Strafen eigentlich noch höhere Preise aufrufen. Lexus wird die Achtzylinder darum etwa nur noch in den USA cruisen lassen. Allerdings hat auch dort die Umweltbehörde bereits höhere Auflagen angekündigt. Farewell, V8 ... das ist auch dort zu befürchten. Schon bald könnte dann der V8 nur noch in Schwertransportern, Zügen oder Notstromaggregaten eine Zukunft haben. Wer ruft da noch ",,bella macchina"?

Aber das Wetter ist einfach zu schön, um solch trübe Gedanken auf der finalen Ausfahrt zu vertiefen. Und die Straße am frühen Sonntagnachmittag ist noch frei genug, um den Achtzylinder-Boliden einmal zu etwas flotterem Vortrieb zu ermuntern. Und da merken nicht mehr allein Kühe, Schafe oder Wanderer am Wegesrand auf. Auch im Innenraum des Lexus hört jetzt jeder, was Sache ist.

Zu sehen ist das ohnehin. Denn als RC F Track Edition ist der 117.850 Euro teure weiße Lexus von der Frontlippe über Motorhaube und Dach bis zum mächtigen, fest stehenden Heckspoiler in dunkler Kohlefaser beplankt. Hier wird Gramm um Gramm gespart - in need for speed. Kleinerer Klimakompressor, Federbein-Stützhalterungen aus Aluminium statt Stahl, schlankere Kohlefaser- und Aluminiumverstärkungen für den hinteren Stoßfänger, Karbon-Keramik-Bremsscheiben statt Stahl ... mit einer Vielzahl solcher Details hungert sich der Wagen auf 1.715 Kilogramm herunter - 55 Kilo weniger als der Standard RC F. Einige der Hightech-Komponenten entlehnt das Coupé dabei den Rennsport-Modellen RC F GT3 und RC F GT500.

Und ganz wie die Rundstreckenhelden röhrt auch der RC F beeindruckend los. Der V8-Sauger hat leichtes Spiel mit 464 PS und einem maximalen Drehmoment von 520 Nm bei 4.800 Touren. Beinahe ansatzlos zieht der Lexus auf Fußdruck los. Das macht auch ein technischer Trick möglich: Der Ansaugweg der Luftzuführung wird bei 2.800 Umdrehungen verkürzt, was nach jeder Kurve im hügeligen Hinterland vor Milano einen knalligen Durchzug garantiert - und den damit verbundenen Sound. Durchdrehende Pneus oder Flammenstöße aus dem titanveredelten Auspuff (spart auch nochmal Gewicht): Solche Poser-Possen sind aber seine Sache nicht. Das Coupé mag kein Krawallbruder sein. Nur eben hörbar. Und spürbar. Hochpräzise spürbar - vom Lenkrad über den Gasfuß bis zu den Rückmeldungen der Fahrzeugbewegungen ist es ein Erlebnis, wie besessen die Macher von ihrem Traum des lupenreinen Sportwagens sind.

Lupenrein bedeutet allerdings nicht kompromisslos. Ein knüppelharter Bandscheiben-Killer ist der RC auch in seiner rasantesten Ausführung nicht. Wer den Renner als Reisewagen laufen lässt, kann auch calma, calma - also ganz gelassen - sein Ziel erreichen. Andrea Bocelli aus der Soundanlage liefert das passende dolce vita dazu. Am Abend einer langen Ausfahrt muss ja kein Mensch mehr zu viel Sport wagen. Die Achtzylinder-Symphonie garantiert auch beim Einparken am Castello di Casiglio noch ein grande finale.
Ciao Otto. Wir hören uns bei Classic-Rallyes wieder ...

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