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Test: Harley-Davidson Road Glide - Gipfelerlebnis

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Die Harley-Davidson Road Glide des Jahres 2024 erscheint in vielerlei Hinsicht als Hammer Foto: fbn

Die neue Harley-Davidson Road Glide gibt sich als Neuinterpretation des Grand American Touring. Sie kann in der Tat einiges besser als das gleichnamige Vormodell.

Das Infotainmentsystem der jüngsten Tourer-Generation von Harley-Davidson macht was her: Sage und schreibe 30 Sprachen beherrscht es. Zudem glänzt es mit außergewöhnlichen Leistungswerten: Bei der neuen Road Glide gehen 50 Watt an jeden der beiden Kanäle, das gewaltige Touch-TFT-Display misst volle 31,2 Zentimeter in der Diagonalen. Diese Finessen stellt der Hersteller als mindestens so bedeutsam heraus wie die Details des Fahrwerks, der Bremsen oder der zahlreichen Assistenzsysteme. Die Harley-Davidson Road Glide des Jahres 2024, an ihrer neuen Sharknose-Frontverkleidung leicht erkennbar, erscheint in vielerlei Hinsicht als Hammer. Auch beim Preis; das Vergnügen beginnt bei knapp 32.000 Euro.

Steht man vor auf dem Seitenständer ruhenden Road Glide, mag man nicht glauben, dass das US-Monstrum gegenüber der Vorgängerin um knapp acht Kilogramm weniger wiegt. Das liegt daran, dass die verbliebenen 380 Kilogramm immer noch weitaus mehr sind als man gemeinhin auf zwei Rädern zu sehen bekommt. Dass der Hersteller aufs Gewicht schaut und nicht blind dem jahrelang üblichen "Größer, Stärker, Schwerer" folgt, halten wir dennoch für löblich. Vom genannten Dreiklang ist alleine das "Stärker" geblieben; neuerdings werden 78 kW/105 PS geliefert. Ihre fahrphysikalische Bedeutung erlangen sie dadurch, dass sie aus 1.923 Kubikzentimetern Hubraum des grandiosen Milwaukee-Eight-V2 stammen und demzufolge bereits bei 5.000 Touren versammelt sind. Für die Fahrdynamik noch entscheidender sind die 175 Newtonmeter Drehmoment, die bei 3.500 U/min. abrufbar sind. Der Brocken kann beschleunigen, dass die Arme lang und länger werden, fast egal aus welcher Drehzahl. Zu 99 Prozent sind es Männer, die sich den lustvollen Umgang mit dem Zweirad-Koloss zutrauen.

Die Road Glide kommt neuerdings mit einem deutlich geglätteten Design und ohne die Heckantennen früherer Generationen. Sie ist die jüngste Inkarnation des Grand American Touring. Gemacht ist sie mit aller Konsequenz fürs entspannte Touren durch die Weiten Amerikas. Natürlich kann sie auch Kurven, liefert sogar willig und problemfrei 32 Grad Schräglage. Dem Autor ist keine asphaltierte Straße in den USA erinnerlich, die er mit dieser Harley nicht freudvoll angehen würde, aber um eine Befahrung des Stilfser Jochs mit seinen fast 50 teils extrem engen Haarnadelkurven würde er sich nicht reißen. Europas Herausforderungen sind eben andere.

Straßen und Sträßchen dritter oder vierter Kategorie sind nichts für die Road Glide. Einmal wegen ihrer Fülligkeit, zum anderen ob der Federung, die auf harte Kanten oder Schlaglöcher nicht gerade fein anspricht. Daran ändern auch die neuen, einstellbaren Federbeine nicht viel. Freilich sind die Federwege, vorne knapp 12 und hinten noch nicht mal 8 Zentimeter, auch nicht geeignet, um Fahrer und Sozia einen fliegenden Teppich auszurollen. Da stellt sich die Frage, warum es anno 2024 noch kein semiaktives Fahrwerkssystem zugunsten echten Fahrkomforts in den Spitzmodellen von Harley-Davidson gibt. Und noch einen Wunsch hätten wir: eine Rückfahrhilfe wäre in manchen Situationen hochwillkommen!

Die neuerdings installierten drei Fahrmodi vergrößern die Spielwiese des Schwergewichts deutlich: Rain wirkt als Wattebausch, Road sehr ausgewogen und Sport versprüht fast schon Nervosität. Nebenbei ist erfreulich, dass sich der Normverbrauch von ohnehin bescheiden anmutenden 5,3 Litern pro 100 Kilometer bei vorausschauender, keineswegs langsamer Fahrweise sogar leicht unterschreiten lässt. Damit ermöglicht der 22,7 Liter-Tank fast unglaubliche 400 Kilometer ohne Nachtanken.

Trotz des nicht idealen Federungskomforts ist der Gesamt-Fahrkomfort der Road Glide gegenüber dem gleichnamigen Vormodell fahrerfreundlicher. Das liegt vor allem an der verbesserten Aerodynamik. Die zuvor üblen Turbulenzen am Helm schon ab 80, 90 km/h sind dank viel Windkanal-Feinschliff der neuen Frontpartie und einer wirksamen Scheiben-Hinterlüftung verschwunden; bis etwa 140, 150 km/h herrscht nun relative Ruhe. Gewonnen haben Einlenkverhalten und Lenkpräzision, obwohl die Dunlop-Serienpneus nicht gerade dem Prinzip des aktiven Fahrens frönen, sondern Langlebigkeit über alles stellen. Aber auf guten Straßen ist es eine Lust, mit dieser Harley zügig und zugleich entspannt durch hügelige Landschaften zu cruisen! Gerne auch mit der Dame des Herzens, sofern sie sich auf dem nach hinten leicht abfallenden Sitzchen wohlfühlt. Aber seien wir ehrlich: Für größere Touren zu zweit hat Harley Besseres im Programm.

Eine echte Schau ist das Cockpit: Zwischen den beiden virtuellen, bestens ablesbaren Runduhren erscheint im Riesen-Display nach Knopfdruck ein Navigationssystem auf Kartenbasis, darüber hinaus liefert das System, alles, was Herz & Hirn eines Info-Nerds begehren. Freilich erfordert die Bedienung aller Schalter, Knöpfe und Tasten am Lenker eine längere Eingewöhnungsphase.

Noch nie waren Harleys Motorräder etwas für Mr. Everybody. Das gilt auch für die 2024er Road Glide, obwohl sie nunmehr in vielen Punkten technisch auf der Höhe der Zeit ist (u.a. Fahrassistenzsysteme, Motorsteuerung oder Fahrstabilität). Ihre schiere Masse, ihr Bauvolumen, ihr leiser gewordener, aber immer noch unverwechselbarer Sound und auch ihr Preis sorgen dafür, dass der gemeine Passant am Straßenrand stets den Kopf wendet. Schon immer war die Road Glide großes Kino, auch optisch. Das ist sie neuerdings mehr denn je, denn nicht nur das brandneue Infotainmentsystem ein Hingucker.  



Technische Daten Harley-Davidson Road Glide

Motor:  Luft- und flüssigkeitsgekühlter 45 Grad-V2-Motor, Typ Milwaukee-Eight 117, 1923 ccm Hubraum, vier Ventile pro Zylinder, ohv, 80 kW/107 PS bei 5.020 U/min., 176 Nm bei 3.250 U/min; Einspritzung, 6 Gänge, Zahnriemen
Fahrwerk: Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen; Telegabel ø 4,9 cm vorne, 11,7 cm Federweg; Stahl-Zweiarmschwinge hinten, zwei Federbeine (Vorspannung einstellbar), 7,6 cm Federweg; Aluminiumgussräder; Reifen 130/60 B 19 (vorne) und 180/55 B 18 (hinten). 32 cm Doppelscheibenbremse vorne, 30 cm Einscheibenbremse hinten
Assistenzsysteme: Zweikreis-ABS, drei Fahrmodi, Motor-Schleppmoment-Regelung, Antischlupfregelung, elektron. Bremskraftverteilung (alle Systeme kurvenoptimiert), Berganfahrhilfe, aut. Blinkerrückstellung, Tempomat, Keyless Ride, Navigation und komplette Konnektivität
Maße und Gewichte: Radstand 1,625 m, Sitzhöhe 72 cm, Gewicht fahrfertig 380 kg, Zuladung 237 kg; Tankinhalt 22,4 Liter
Fahrleistungen: 0-100 km/h ca. 5,5 s, Höchstgeschwindigkeit 180 km/h (abgeregelt). Normverbrauch lt. WMTC-Norm (EU 5) 5,3 l/100 km, Testverbrauch 5,2 l/100 km
Preis: ab 31.845 Euro

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