Neuheit

Am heimlichen Hotspot der Hobbits - Mit dem Renault Clio durch Kappadokien

  • In AUTO
  • 25. September 2023, 11:43 Uhr
  • Benjamin Bessinger/SP-X
  • 12 Bilder
img
Kaum irgendwo außerhalb Frankreichs ist Renault so präsent im Straßenbild wie in der Türkei Foto: Benjamin Bessinger

Kaum irgendwo außerhalb Frankreichs ist Renault so präsent im Straßenbild wie in der Türkei. Kein Wunder, schließlich haben die Franzosen dort seit einem halben Jahrhundert ein Werk. Das macht den Clio zum besten Kandidaten für einen Road-Trip durch das riesige Land.

Renault 11, Renault 12, Renault 19 - daheim in Frankreich hat der Zahn der Zeit sie längst dahingerafft. Doch hier in Ürgüp bestimmen sie noch immer das Straßenbild. Denn erstens ist es hier zumindest im Sommer schön warm und trocken, so dass der Rostfraß keine Chance hat. Und zweitens ist die Kleinstadt in Zentralanatolien nicht eben eine Wirtschaftsmetropole, entsprechend finanzschwach sind die Einwohner und entsprechend liebevoll hegen und pflegen sie ihre Gebrauchtwagen.

Aber die Momentaufnahme täuscht - denn die Türke ist nicht nur das Paradies der rostigen Renaults, sondern auch als Neuwagenmarkt eine große Bank für die Franzosen: In Bursa, wo seit 1971 die schon die meisten der in Würde gealterten Klassiker vom Band gelaufen sind, bauen sie heute über 200.000 Clio, 50.000 Mégane Limousinen sowie sechsstellige Stückzahlen von Motoren und Getrieben und nach dem ewigen Bestseller Aegea, den Fiat als zweiter großer ,,lokaler" Hersteller mit festen und vor allem langen Wurzeln in der Türkei eigens für die Region entwickelt hat, steht der Clio an Nummer zwei der Zulassungstabelle.

Das macht ihn zum perfekten Kandidaten für einen Trip durch die Türkei, der auf Nebenstraßen in Regionen führt, die mit dem klassischen Pauschaltourismus so wenig zu tun haben wie unsere Döner mit denen, die sie in Istanbul rund um die Uhr am Taksim-Platz servieren.

Die Tour beginnt am Bosporus, lässt Europa aber schon nach wenigen Minuten im Rückspiegel verbinden. Erst auf der Autobahn und dann auf erschreckend gut ausgebauten Landstraßen - da zahlen sich die fast 200 Milliarden Dollar aus, die Ankara in den letzten 20 in Infrastruktur gesteckt hat - durch auch in diesem Sitze-Sommer überraschend grüne Gegenden geht es zunächst nach Safranbolu. Die Kleinstadt hat es mit ihren Fachwerkhäusern ins Unesco-Weltkulturerbe geschafft und ist so etwas ist wie die türkische Antwort auf Rothenburg ob der Tauber.  

Oder besser auf Aix en Provence. Denn drumherum wächst Lavendel satt. Und wer von hier aus ans Wasser fährt, der ist zwar am Schwarzen Meer und nicht an der Cote d'Azur, aber der cruist dafür über eine Küstenstraße, neben der die Corniche eine langweile Autobahn ist. Gute 300 Kilometer sind es von Amasara nach Sinop mit mindestens 3.000 Kurven, und während man sich an der Cote d'Azur im Sommer nur im Schritttempo bewegt, begegnen einen hier am ganzen Tag keine zehn Autos. Da läuft selbst ein Kleinwagen zu großer Form auf, ein drei Zylinder-Turbo fühlt sich an ein V8 von AMG und seine 90 PS wirken wie Bärenkräfte - erst recht, wenn man mal erkannt hat, dass die allgegenwärtigen Streifenwagen am Straßenrand nur Attrappe sind und die Polizisten Pappkamaraden.

Doch so verlockend die Strecke auf dem großen Tablet neben dem Lenkrad aussieht, die die Apple Carplay aufs Display projiziert - je weiter man nach Osten kommt, desto kritischer wird das Klima - und das meint diesmal nicht das Wetter, sondern die Politik. Georgien, Syrien, Russland - die Nachbarn und Anrainer am Schwarzen Meer gelten jetzt nicht eben als Urlaubsparadies.

Also Blinker rechts, und Kurs nach Süden, ab durchs Inland, an ins Hochland - erst stundenlang durch endlose Kornfelder, dann nach Kappadokien, dem heimlichen Highlight der Türkei. Denn wer das Land nur auf den billigen Badeurlaub am Mittelmeer reduziert, wird der Türkei nicht einmal ansatzweise gerecht. Und spätestens seit Instagram weiß jeder, dass der Hotspot nicht in Bodrum ist, bei den Sinterterrasen von Pamukkale, im antiken Ephesos oder in Istanbul, sondern in Ürgüp, wo die rostigen Renaults das Straßenbild bestimmen, in Göreme oder in Avanos.  

Hier haben die Geologie und die Erosion eine Landschaft gezaubert, neben den der Bryce Canyon in Utah genauso verblasst wie die Wüstengebirge Nordafrikas - und wenn Peter Jackson nur ein bisschen weltoffener gewesen wäre, dann hätte der Regisseur den Herrn der Ringe nicht in Neuseeland gedreht, sondern hier in der Türkei. Schließlich haben Wind und Wasser hier nicht nur zum Teil hunderte Meter hohe Kegel in die Landschaft gestellt, die bisweilen ziemlich eindeutige, nahezu erotische Formen annehmen. Weil der Stein so weich ist, haben sich darin in den letzten paar tausend Jahren ganze Völker Höhlen gegraben und Häuser gebaut. Die beiden Berge am Ortseingang von Uchisar gehen deshalb auch als türkische Twin Towers der Antike durch und wer als Hotel etwas auf sich hält hier in der Gegend, bei dem hausen die Gäste auch heute noch in Höhlen - mit Klima und knöcheltiefen Teppichen natürlich als Cave-Suite ausgewiesen.

Während die Gilde der Influencer vor allem wegen der hunderten Heißluftballons kommt, die hier jeden Morgen zum Sonnenaufgang über der eigenwilligen Landschaft aufsteigen und sich ansonsten allenfalls in hemdsärmelig zurecht geflexten Cabrios auf Basis alter Mercedes-Limousinen durch die Gegend chauffieren lässt, lohnt sie der Abstecher in die anatolische Pampa auch für Petrolheads und Selbstfahrer: Mal asphaltiert und mal nur grob geschottert, schlängen sich einsame Straßen durch die Gebirgsformationen des Nationalparks und hinter jeder Kurve warten noch faszinierender Ein- oder Ausblick. Und wer kurz vor Sonnenuntergang von Göreme nach Aktepe fährt und über die Kuppe schaut, der will nie wieder wo anders das Panorama sehen.

Einziger Haken am Abenteuer im vermeintlichen Hobbitland: Nach zwei, drei Tagen in engen Schluchten, auf ausgetretenen Kamelpfaden und staubigen Feldwegen sieht der vorher noch so stolz glänzende Clio genauso alt, stumpf und schmucklos aus wie die rostigen Renault am Marktplatz von Ürgüp. Vielleicht sind die gar nicht so alt wie sie aussehen, sondern nur ungewaschen?

Aber auch die glänzende Wäsche hilft nur eingeschränkt: Ein paar Tage später im hippen Bodrum, dem Sylt der Türken, an der Westküste oder gar im Millionen-Moloch lstanbul geht der Clio trotz seiner kräftigen roten Farbe hoffnungslos unter. Zu dicht ist der Verkehr und zu westlich der Mix auf den Straßen, als dass der kleine Gallier mit türkischem Pass dort noch auffallen würde. Doch hier und heute im Dreieck zwischen Ürgüp, Göreme und Avanos ist er Renault der König und parkt deshalb vor den Höhlen-Hotels ganz selbstverständlich in der ersten Reihe, als würde er auf den nächsten Hobbit warten, der hier seine Heimat hat. Passen würde was. Denn Charmant, chic und ein bisschen lausbübisch - Frodo würde wahrscheinlich bevorzugt Clio fahren. Zumindest, wenn er in den Sommerferien von Neuseeland nach Kappadokien kommt.

STARTSEITE