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Strafzölle auf chinesische E-Autos - Ist das deutsche Erfolgsmodell in Gefahr?

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Ende April ließ die chinesische Automobilindustrie auf der Auto China in Peking vor den Augen der Weltöffentlichkeit die Muskeln spielen. Mehr als 100 Weltpremieren und fast 300 neue New-Energy-Fahrzeuge vor allem heimischer Hersteller wurden auf der pompö Foto: SP-X/Mario Hommen

100 Prozent Sonderzölle auf chinesische E-Autos: US-Präsident Joe Biden sucht die Konfrontation mit China. Deutschland will vorerst noch vermitteln.

Ende April ließ die chinesische Automobilindustrie auf der Auto China in Peking vor den Augen der Weltöffentlichkeit die Muskeln spielen. Mehr als 100 Weltpremieren und fast 300 neue New-Energy-Fahrzeuge vor allem heimischer Hersteller wurden auf der pompösen Industrieschau präsentiert. Und viele der auf rasantes Wachstum setzenden Autokonzerne aus China mit ihren ebenfalls rasant wachsenden Mehrmarkenportfolios kündigten an, noch viel mehr ihrer Autos auf immer mehr Auslandsmärkten verkaufen zu wollen. Der Expansionshunger ist groß, die Autos, die auch dem inzwischen anspruchsvollen Gaumen chinesischer Kunden gefallen müssen, haben längst Weltmarktniveau. Und oft sind sie auch noch vergleichsweise günstig.

Dass Autos aus China international gut ankommen, belegen Zahlen wie der Anstieg der chinesischen Elektroauto-Exporte um 70 Prozent im Jahr 2023. Traditionelle Autonationen, deren wirtschaftlicher Erfolg maßgeblich auf dem internationalen Erfolg ihrer Autoindustrie beruht - dazu gehören unter anderem Frankreich, Deutschland und die USA - reagieren zunehmend gereizt auf den chinesischen Boom. Die Stimmung zwischen den großen Handelsblöcken im globalen Autogeschäft ist inzwischen toxisch. Klimaschutz, Autokunden und die deutsche Automobilindustrie könnten das Nachsehen haben.

Der Aufstieg Chinas zu einer Automobilnation, die eines Tages zu einer ernsthaften Konkurrenz für den mit Abstand wichtigsten Industriezweig der deutschen Wirtschaft werden könnte, wird seit langem diskutiert. Für deutsche Automobilhersteller war China über Jahrzehnte der wichtigste Wachstumsmarkt, der sich westlichen Herstellern allerdings nur im Rahmen von Joint Ventures mit chinesischen Unternehmen öffnete. Der Automobilbau ist ein komplexes Geschäft, das China mit westlicher Aufbauhilfe im Rahmen dieser Joint-Venture-Politik in wenigen Jahrzehnten zu beherrschen gelernt hat. Nicht wenige Wirtschafts- und Automobilexperten haben frühzeitig vor diesem Aufstieg Chinas gewarnt. Den Entscheidungsträgern der deutschen Automobilindustrie war durchaus bewusst, dass sie sich mit dem lukrativen Chinageschäft einen mächtigen Konkurrenten ins Haus holten. Dr. Peter Mertens, ehemaliger Entwicklungsvorstand von Volvo und Audi, sprach Anfang Mai im Podcast ,,Alte Schule" von einem ,,Goldrausch", in der sich Manager auf der Suche nach kurzfristigen Erfolgen befunden haben und dabei die langfristigen Folgen ihres Handelns nur allzu gerne ausblendeten.

Dass die Büchse der Pandora geöffnet wurde, zeigte sich bereits in den Nullerjahren, als chinesische Automobilhersteller einen ersten Versuch unternahmen, in Europa Fuß zu fassen. Unter anderem aufgrund schlechter Crashergebnisse endete dieser jedoch in einem Fiasko. Wohl auch vor dem Hintergrund dieses Misserfolgs hat das 2006 gestartete chinesische EuroNCAP-Pendant C-NCAP die Anforderungen im Testverfahren schrittweise erfolgreich an das europäische Vorbild angepasst. Inzwischen gehört es zum Standard, dass Neuwagen aus China bei den hiesigen Crashtests mit Bestnoten abschneiden. Dieser Erfolg ist nur ein Beispiel für das planvolle und langfristige Vorgehen der Chinesen. In puncto Sicherheit braucht man keinen Vergleich mehr zu scheuen, in Sachen E-Mobilität ist die chinesische Autoindustrie sogar zum Innovationstreiber aufgestiegen.

Dass die Chinesen kommen und auch bei Kunden ankommen, ist inzwischen zur Gewissheit gereift. Schon seit einigen Jahren wird daher vor allem in Deutschland, Frankreich und den USA in Wirtschaft und Politik darüber diskutiert, dieser drohenden Flut mit Maßnahmen zu begegnen, die allerdings die Gefahr eines Wirtschafts- und Handelskrieges immer wahrscheinlicher werden lassen. Einen drastischen Vorstoß in diese Richtung unternahm Mitte Mai US-Präsident Joe Biden, wohl auch mit Blick auf die Wahlen im Herbst. Demnach sollen die Importzölle auf chinesische Elektroautos auf 100 Prozent steigen, was einer Vervierfachung der ohnehin schon üppigen Einfuhrhürde von derzeit 25 Prozent entspricht. Sollte diese eindeutig protektionistische Maßnahme so umgesetzt werden, dürfte sie ein erhebliches Eskalationspotenzial bergen. Gerade die USA, die sich traditionell für freien Welthandel und oft für den Abbau von Handelsbarrieren einsetzen, wollen damit vor allem ihre heimische Autoindustrie schützen. Elon Musk, für dessen Autokonzern Tesla es zuletzt nicht mehr ganz so rund lief wie in den Jahren zuvor, kann sich jedenfalls freuen. Die Autokunden und das Klima haben dagegen das Nachsehen, denn die für die Kunden erschwinglichen und für einen beschleunigten Markthochlauf klimafreundlicher Mobilität so wichtigen Elektroautos aus China werden durch hohe Strafzölle massiv ausgebremst.

Die drastische Erhöhung der US-Importzölle auf Elektroautos aus China wird vor allem mit der Subventionspolitik der Regierung in Peking begründet, die es den Autoherstellern aus dem Reich der Mitte ermöglicht, ihre Fahrzeuge zu deutlich günstigeren Preisen auf dem Weltmarkt anzubieten. Auch Vertreter der europäischen Automobilindustrie kritisieren seit Jahren die Subventionspolitik der Chinesen. Die Grenze zwischen fairer und unfairer Subventionierung dürfte allerdings schwer zu ziehen sein. Auch in Deutschland gibt es eine lange Tradition offener und versteckter Subventionen, von denen Unternehmen der Automobilindustrie profitieren. Abwrack- oder Umweltprämie, Corona-Förderung, Zukunftsfonds, Bundes- und Landesmittel für Forschung und Entwicklung, Ansiedlungshilfen, Dienstwagenprivileg, Pendlerpauschale oder Steuervergünstigung für Dieselkraftstoff - die Liste ist lang. Und die Empörung der Chinesen über verzerrte Sichtweisen und Doppelstandards ist nicht gerade gering.

Die Europäische Union hat daher im Oktober 2023 eine Antisubventionsuntersuchung eingeleitet, um zu prüfen, ob die Wertschöpfungsketten für batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) in China übermäßig von unzulässigen Subventionen profitieren. Bis spätestens Ende 2024 sollen Ergebnisse vorliegen, auf deren Grundlage entschieden werden soll, ob möglicherweise marktverzerrende und unfaire Praktiken angewendet werden und ob diesen mit Antisubventionszöllen begegnet werden soll.

Autoexperten wie Ferdinand Dudenhöffer warnen jedoch eindringlich davor, in Europa dem Beispiel der USA zu folgen. Sollte China auf Strafzölle mit Gegenmaßnahmen reagieren, könnte der nach wie vor wichtigste Absatzmarkt für deutsche Autobauer wegbrechen. Zudem wären viele Autos, die deutsche Hersteller in China für den europäischen Markt produzieren, von protektionistischen Maßnahmen betroffen. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) ruft daher aktuell dazu auf, das Gespräch mit den Chinesen zu suchen und auf dem Verhandlungsweg Lösungen zu finden. VDA-Präsidentin Hildegard Müller warnte Mitte Mai in einem Interview mit dem WDR vor den kontraproduktiven Folgen eines Handelskrieges und plädierte für eine offensive Strategie im globalen Wettbewerb. Immerhin werden rund 75 Prozent der in Deutschland produzierten Autos exportiert. Sollte China als Reaktion auf Strafzölle seinen Automarkt gegen Importe aus den USA und Europa abschotten, sieht der VDA das Erfolgsmodell der deutschen Automobilindustrie in Gefahr.

Chinesische Autohersteller scheinen eine Ausweitung des Handelskrieges mit Europa jedenfalls nicht auszuschließen, wie aktuelle Bemühungen um den Aufbau von Autofabriken in der EU zeigen. Im April sicherte sich die Chery-Gruppe, die demnächst unter den Marken Omoda und Jaecoo Autos in Deutschland verkaufen will, den Zugriff auf ein ehemals von Nissan betriebenes Werk in Spanien. Der chinesische Batteriespezialist CATL baut derzeit eine riesige Batteriefabrik in Ungarn, die im kommenden Jahr die Produktion aufnehmen soll. BYD errichtet derzeit eine Autofabrik im ungarischen Szeged, in der ebenfalls 2025 die ersten Autos vom Band laufen sollen. Eine Entscheidung über einen zweiten BYD-Produktionsstandort in Europa könnte 2025 fallen. Auch die Türkei ist durch die Zollunion mit der EU als Standort für neue Autofabriken verschiedener chinesischer Autokonzerne in den Fokus gerückt. Der Plan der chinesischen Autohersteller, sich als führende Hersteller von Elektroautos in Europa zu etablieren, könnte also trotz einer protektionistischen Politik der EU aufgehen. Deutschland hätte dabei so oder so das Nachsehen.

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