Das gab es nur einmal: Vor 50 Jahren debütierte ein V6-Motor für gleich zehn europäische Marken mit Oberklasseambitionen. Der von Peugeot, Renault und Volvo initiierte Euro-V6 avancierte zum Bestseller in Sportwagen, Staatskarossen und Businesslinern – und ist bis heute umstritten.
Er war ein berühmt-berüchtigtes Kind der ersten Ölkrise und dennoch ein Hauptgewinn für zehn europäische Hersteller, die mit diesem Sechszylindermotor ihre Träume vom Aufstieg ins automobile Oberhaus realisieren wollten: Vor 50 Jahren debütierte der gemeinsam von Peugeot, Renault und Volvo (PRV) konstruierte Euro-V6 im vom Stardesigner Pininfarina gezeichneten Peugeot 504 Coupé. Nur sechs Monate später überraschten die Markenflaggschiffe Renault 30, Peugeot 604 und Volvo 264 mit dem anfangs aus 2,7-Liter-Hubraum schöpfenden V6, ehe auch Sportwagen wie Alpine A310 oder DeLorean DMC-12 – das Kultauto aus den „Zurück in die Zukunft“-Filmen – auf die Power des PRV-Aggregats setzten.
Im Laufe seiner 24-jährigen Karriere befeuerte der in eigener Fabrik im französischen Douvrin gebaute Euro-V6 die Modelle von zehn europäischen Marken und mehreren US-Fabrikaten – eine rekordverdächtige Bilanz für eine Maschine, die aus einer Notlösung entstand. Eigentlich war das Triebwerk von Peugeot und Renault als feudaler Achtzylinder geplant gewesen, der ersten französischen V8-Neukonstruktion seit den 1930er Jahren.
Damals spielte die Grande Nation in der automobilen Prestigeliga eine führende Rolle, und diesen Glanz sollten 40 Jahre später neue V8-Limousinen aus Sochaux und Billancourt zurückholen. Ambitionierte Ziele, die so kostspielig gerieten, dass Volvo als neuer Partner ins V8-Projekt geholt wurde. Aber dann kam die Ölkrise von 1973/74, und großvolumige V8 gerieten ins Abseits. Was tun? Die PRV-Partner kürzten den V8 um zwei Zylinder und kreierten dadurch einen zeitgemäßen Motor, der es auf fast eine Million Einheiten brachte.
Wahrscheinlich gibt es in der Automobilgeschichte keine heftiger diskutierte Motorenkonstruktion als diesen V6, der mit einem 90-Grad-Winkel zwischen den beiden Zylinderbänken auf seine V8-Vorgeschichte verweist. Es fehle ihm am Laufkultur und Leistung, behaupten bis heute die Kritiker des Euro-V6, und seine Verbrauchswerte seien viel zu hoch. Tatsächlich aber störten sich damals nur wenige Fachmedien oder Kunden am etwas rauen Sound der anfangs um die 100 kW/136 PS leistenden und in Testberichten sogar als „Haute Volée“ gefeierten Sechsender.
Weder vergleichbar große Mercedes 230/250 noch Ford Granada 2.6 oder NSU Ro 80 boten bessere Fahrleistungen – und die Euro-V6 fuhren sogar einen speziellen Vorteil heraus: Dank des Einsatzes von Aluminium für Zylinderköpfe und Motorblock und einer kompakten Bauweise eigneten sie sich für die Installation in Sportwagen, allen voran in die Kunststoffflundern der in den Renault-Konzern integrierten Marke Alpine.
Konzipiert als gallische Alternative zum Porsche 911 gelang es der Alpine A310 Geschichte zu schreiben durch extravagantes Design und mit dem 1976 integrierten Euro-V6, der einen weniger erfolgreichen Vierzylinder ersetzte: „Ein Fahrerlebnis, das fast ins Unwirkliche gesteigert wird, wenn die Landschaft lautlos mit 200 oder mehr km/h an Ihnen vorbeifliegt … dieses Auto erlaubt Ihnen, mal eben von Hamburg nach München zu fahren… und doch Kilometer für Kilometer das begeisternde Fahrerlebnis reinrassiger Formel-Technik zu spüren“, euphorisierte die Alpine-A310-V6-Werbung. Diese vermeintlichen Wundertalente der Alpine überprüfte die französische Gendarmerie, als sie auf A310 Einsatzwagen vertraute, ähnlich wie der Porsche 911 von der deutschen Autobahnpolizei als Abfangjäger genutzt wurde.
Was die Effizienz des V6 betrifft, provozierte Alpine-Mutter Renault 1979 nach der zweiten Energiepreisexplosion mit dem Slogan: „Die sparsamsten 200 km/h“. Welche Wirkung der V6 auf den Absatzerfolg der Alpine hatte, zeigt folgender Vergleich: Nach 2.340 verkauften Vierzylinder-Alpine in den Jahren 1971 bis 1975 schaffte es die A310 mit V6 auf vier Mal so viele Einheiten, ehe Alpine V6 und Alpine A610 die Erfolgs-Story mit weiteren Ausbaustufen des PRV-Triebwerks fortschrieben.
Seine größte Bekanntheit gewann der Euro-V6 allerdings durch das Drama um den 1981/1982 in Nordirland gebauten DeLorean DMC-12. Obwohl das mit edelstahlbeplankter Kunststoffkarosserie aufwartende Flügeltürencoupé später als Kinostar Kultstatus erlangte, fand es während der Produktionszeit zu wenige Fans. Ein Grund: Der mit Katalysatortechnik aufwartende, aber nur 97 kW/132 PS abgebende V6 machte den immerhin 1,3 Tonnen wiegenden DeLorean nicht schnell genug. Venturi, französischer Sportwagenspezialist, bewies dagegen, dass der Euro-V6 auch das Potential für Leistungssteigerungen hatte: Der Venturi 260 erreichte 1995 mit 191 KW/260 PS aus mittlerweile 2,85 Liter Hubraum die Vmax von 270 km/h.
Seine Vielseitigkeit demonstrierte der PRV-Motor zwar auch in Militärfahrzeugen von Panhard, im portugiesischen Offroader UMM Alter, in US-Modellen wie Dodge Monaco und Eagle Premier (jeweils mit 3,0-Liter-Hubraum), im glücklosen Talbot-Topmodell Tagora, im Lancia Thema und in zwei Generationen des Van-Pioniers Renault Espace. Vor allem aber waren es die Topmodelle der drei PRV-Initiatoren Peugeot, Renault und Volvo, aber auch von Citroen, die mit dem permanent weiterentwickelten Triebwerk reüssierten.
Neben Hubraummodifikationen (2,5 Liter bis 3,0 Liter) gab es im Laufe der Jahre Ausgleichswellen zur Optimierung der Laufruhe, Turbo-Varianten (zuerst bei Renault) und 24-Ventiler (Peugeot und Citroen). „Wir werden nicht versuchen, unseren Kunden zu sagen, dass der 604 eine Alternative zu Mercedes-Modellen ist“, erklärte Peugeot 1975 Medien zum Marktstart der ersten Limousine mit PRV-V6, aber genau so kam es natürlich – zumindest in Frankreich. Hier diente der 604 sogar dem Élysée-Palast als Staatskarosse, eine Aufgabe, die später weitere Modelle mit Euro-V6 wahrnahmen, speziell die Typen Renault 25 und Safrane sowie Citroen XM.
Dezente Noblesse ohne V8-Dekadenz war angesagt im Frankreich der 1970er und 80er, noch mehr traditionell in Schweden. Die Nordländer akzeptieren keinen Protz und Prunk, deshalb musste dem Volvo-Flaggschiff 260 ein V6 als wichtigstes Differenzierungskriterium gegenüber dem profanen Vierzylindertyp 240 genügen. Andererseits wagte Volvo mit dem 265 einen frühen europäischen Großserien-Nobelkombi mit Sixpack unter der Haube. Nicht zu vergessen die bei Bertone gebauten Volvo-Coupés 262 und 780, die ebenfalls mit dem Euro-V6 Herzen gewannen. Schwedens König Carl XVI. Gustaf vertraute selbstredend auf den V6 in seinen Volvo-Staatskarossen der Baureihen 260 und 760, aber auch die DDR-Staatsführung orderte ihre langen 760 GLE 2.7 V6 beim Karossier Nilsson in Skandinavien.
Ob brav-kantige Limousinen à la Volvo und Peugeot, mutige Avantgarde-Couture à la Renault 25 und Citroen CX oder aufregende Sportwagen, der Euro-V6 lieferte fast ein Vierteljahrhundert lang den passenden Antrieb. Das Scheitern von Frühstartern wie dem unausgereiften DeLorean oder der ihrer Zeit zu weit vorausfahrenden französischen Fastback-Businessclass Renault 30 konnte der PRV nicht verhindern, aber gerade diese Imperfektion hält den aus einem V8 geborenen V6 bis heute im Gespräch.
Modelle mit Euro-V6-PRV-Motor:
Peugeot 504 Coupé, später auch Cabriolet mit 2,7-Liter-V6 (1974-1983)
Peugeot 604 mit 2,7-Liter-V6 (1975-1979)
Peugeot 604 mit 2,85-Liter-V6 (1979-1984)
Renault 30 mit 2,7-Liter-V6 (1975-1984)
Volvo 264/265 mit 2,7-Liter-V6 (1975-1980)
Volvo 260 Limousine und Kombi mit 2,85-Liter-V6 (1980-1982)
Alpine A310 mit 2,7-Liter-V6 (1976-1985)
Volvo 262 C mit 2,7-Liter-V6 (1977-1980)
Volvo 262 C mit 2,85-Liter-V6 (1980-1981)
Talbot Tagora mit 2,7-Liter-V6 (1980-1983)
Panhard ERC Militärfahrzeug mit 2,85-Liter-V6 (ab 1980)
DeLorean DMC-12 mit 2,85-Liter-V6 (1981-1983)
Volvo 760 mit 2,85-Liter-V6 (1982-1990)
Renault 25 mit 2,5-Liter-V6 (1985-1988)
Renault 25 mit 2,85-Liter-V6 (1988-1992)
Lancia Thema mit 2,85-Liter-V6 (1984-1992)
Volvo 780 mit 2,85-Liter-V6 (1985-1990)
UMM Alter II mit 2,85-Liter-V6 (1986-1994)
Alpine GTA V6 mit 2,5-Liter-V6 (1985-1991)
Peugeot 505 mit 2,85-Liter-V6 (1986-1992)
Venturi 180/200/210 mit 2,5-Liter-V6 (1987-1992)
Eagle Premier mit 3,0-Liter-V6 (1988-1992)
Venturi 260 mit 2,85-Liter-V6 (1989-1996)
Citroen XM mit 3,0-Liter-V6 (1989-1997)
Peugeot 605 mit 3,0-Liter-V6 (1989-1995)
Dodge Monaco mit 3,0-Liter-V6 (1990-1992)
Volvo 960 mit 2,85-Liter-V6 (1991, auf ausgewählten Märkten)
Renault Espace II mit 2,85-Liter-V6 (1991-1996)
Alpine A610 mit 3,0-Liter-V6 (1991-1995)
Renault Safrane (1992-1997)
Renault Laguna (1994-1997)
Renault Espace III (1996-1998)
Chronik:
1966: Peugeot und Renault vereinbaren ein Joint-Venture zur Entwicklung und Produktion eines Achtzylinder-Motors in V-Bauweise für neue Flaggschiffmodelle der beiden Marken
1971: Renault und Peugeot gewinnen Volvo für das gemeinsame Entwicklungsprojekt des V8-Motors. PRV ist ein Akronym aus Peugeot, Renault, Volvo. Produziert werden soll das neue Triebwerk in einem französischen Motorenwerk in Douvrin
1972/73: Neue Emissionsregularien in den USA und geplante Verschärfungen für europäische Märkte, steigende Benzinpreise, die Auswirkungen der im Herbst 1973 beginnenden ersten Ölkrise und eine sinkende soziale Akzeptanz von V8-Motoren in Skandinavien und Frankreich sowie erhöhte Steuern auf großvolumige Motoren in mehreren europäischen Ländern begrenzen die Absatzchancen für einen PRV-V8-Motor. Deshalb wird das Aggregat um zwei Zylinder gekürzt und als V6 realisiert
1974: Im Oktober debütiert das Peugeot 504 Coupé als erstes Serienmodell mit dem neuen 2,7-Liter-V6-Aggregat
1975: Renault zeigt im Frühjahr das Fastbackmodell 30 mit dem Euro-V6, Peugeot lanciert fast zeitgleich die repräsentative Limousine 604, Volvo folgt mit dem 264 (Nachfolger des 164, der auf einen hauseigenen 3,0-Liter-V6 vertraute) und dem 265 als frühem europäischem Nobel-Kombi in Großserie
1979: Eine auf 2,85 Liter Hubraum vergrößerte Ausbaustufe des Triebwerks startet im Peugeot 604 und im Folgejahr u.a. im DeLorean DMC-12
1985: In Modellen wie dem Renault 25 ist eine 2,5-Liter-Version des PRV-Motors verfügbar
1989: Citroen XM und Peugeot 605 nutzen den PRV-V6 erstmals in auf drei Liter Hubraum vergrößerten Ausbaustufen
1998: Nach 24 Jahren und fast einer Million Euro-V6 (exakt 970.315 Einheiten) endet die Fertigung des Aggregats in Douvrin. Das Werk gehört heute dem Stellantis-Konzern
2024: Das Peugeot 504 Coupé V6 wurde vor 50 Jahren als erstes Serienmodell mit einem Euro-V6-Triebwerk beim Pariser Automobilsalon präsentiert und die Oldtimer-Community würdigt diesen runden Jahrestag. Auch die 2025 anstehenden Gold-Jubiläen von Peugeot 604 und Renault 30 sowie Volvo 264/265 sollen mit Events gefeiert werden