Motorrad

Fahrbericht: Livewire S2-Modelle - Lautlos durch die City

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Die S2 Alpinista übernimmt mit 17 Zoll-Rädern vorne und hinten und steiler stehender Gabel den spontan-sportlichen Part Foto: Livewire/Fotomotor Thau

Die Harley-Tochtergesellschaft Livewire baut ihr Angebot an Elektromotorrädern aus. Zwei neue Versionen des Modells S2 sollen den Absatz ankurbeln.

Es wäre übertrieben zu behaupten, dass die Berliner unserer kleinen Testflotte von E-Motorrädern echte Aufmerksamkeit gezollt hätten. Es war ihnen herzlich egal, dass wir mit acht E-Motorrädern an einem kühlen Märztag lokal emissionsfrei und auch ausgesprochen lärmarm vom östlichen Stadtbezirk Lichterfelde nach Berlin-Mitte ins Regierungsviertel geschnurrt sind und uns auch wieder zurückgekämpft haben. Mit klarem Blick taxiert, haben sich die Berliner also ungefähr genauso verhalten, wie Motorradkäufer: die würdigen bisher die E-Flitzer generell kaum eines Blicks, weshalb Marken wie der Elektropionier Zero, aber auch Livewire sich enorm schwertun, auf Touren zu kommen. Gerade mal 612 Fahrzeuge haben die Amis letztes Jahr absetzen können – weltweit.

Das soll, trotz Preisen um 19.000 Euro, künftig anders werden, sagte man sich in Milwaukee, wo auch die unter Strom stehende Harley-Tochter Livewire ihren Sitz hat. Zu diesem Zweck entwickelte man zusätzlich Modell S2 Del Mar zwei weitere S2-Versionen. Die sind antriebsseitig selbstverständlich identisch, unterscheiden sich aber im Lenkkopfwinkel und damit in der Konzeption wie auch in den Radgrößen und der Sitzposition. Die S2 Alpinista übernimmt dabei mit 17 Zoll-Rädern vorne und hinten und steiler stehender Gabel den spontan-sportlichen Part, die S2 Mulholland orientiert sich mit ihrem 19 Zoll großen Vorderrad und dem 17-Zöller hinten sowie mit ihrer erhöht montierten Lenkstange am Cruisersegment. Bequem genug für kürzere Strecken, das sei vorausgeschickt, erscheinen alle drei, wobei die Alpinista mit ihrem schmaleren Lenker im Vergleich vielleicht ein Quäntchen zurückliegt.

Angetrieben werden alle drei von einem 63 kW/86 PS starken E-Motor, der das fast schon sagenhaft hohe Drehmoment von 263 Newtonmetern stemmt. Kein Wunder, dass der Spurt auf 100 km/h in drei Sekunden machbar ist, zumal die Bikes unter 200 Kilogramm wiegen. Hohe Tempi sind aber nicht Sinn und Zweck des Livewire-Trios, denn als vorrangiges Einsatzgebiet gilt der urbane Bereich. Hier kommt es auf Handlichkeit und leichte Manövrierbarkeit an; große Reichweiten stehen nicht im Vordergrund.

Das ist auch gut so, denn der nominal 10,5 kW-Akku liefert nach dem europäischen WMTC-Messverfahren im kombinierten Einsatz Energie für 111 (Del Mar) bis 122 Kilometer (Alpinista und Mulholland); das Wiederaufladen erfolgt wahlweise über Nacht an der Haushaltssteckdose oder in zweieinhalb Stunden bei Level-2-Ladestationen. Für den Stadtbetrieb werden knapp 200 Kilometer Reichweite genannt, was sicherlich ausreichend ist, während um die 120 Kilometer über Land knapp bis frustrierend erscheinen. Besitzer des Führerscheins A2 werden vom Kauf einer Livewire S2 keineswegs ausgeschlossen: Weil die Dauerleistung des Motors lediglich 30 kW/41 PS erreicht, dürfen sie dennoch die nicht permanent verfügbare volle Leistung genießen.

Die Elektronikausstattung der drei S2-Versionen ist üppig: Es gibt jeweils vier vorkonfigurierte Fahrmodi, die sich in der Spontaneität der Gasgriff-Regelung und in der Leistungsmenge unterscheiden, zudem stehen zwei individuell konfigurierbare Modi zur Wahl. Außerdem sind die drei Fahrzeuge mit einer Sechsachsen-Messeinheit ausgerüstet, wodurch das ABS, die Traktionskontrolle und die Motorschleppmomentregelung schräglagenoptimiert werden.

Auch die Fahrwerkskomponenten der drei Livewire-Geschwister sind keine Billiglösungen: Die Showa-Gabeln sind als voll einstellbare Cartridge-Systeme ausgelegt, die Federbeine – die Mulholland muss hinten mit 10 Zentimetern Federweg auskommen, die anderen beiden Versionen bieten kommodere 12 Zentimeter – lassen sich in Vorspannung und Zugstufe einstellen. Vorne wie hinten agiert eine gelochte Scheibenbremse; das von Brembo stammende System überzeugt durch gute Wirkung wie auch ordentliche Dosierbarkeit. Überflüssig zu sagen, dass auch die Livewire S2-Modelle über den bei Harley üblichen Riemenantrieb des Hinterrades verfügen.

Die Betrachtung der drei E-Motorräder wäre aber unvollständig, würde man ihre optische Erscheinung nicht würdigen. Alle drei sind echte Typen, nämlich unverwechselbar. Sehr gelungen erscheint insbesondere die Gestaltung der verrippten Akku-Körper; die teils gefrästen Rippen sind ein sehr vorteilhaft eingesetztes Designmerkmal, das durch die schräg stehenden, leicht außermittig rechts montierten Zentralfederbeine ergänzt wird. Zusammen mit den runden Zentralinstrumenten, die als multifunktionales TFT-Display ausgelegt sind, ergibt sich ein wertiges Erscheinungsbild. Freilich ist im praktischen Betrieb nicht alles vorteilhaft, was cool aussieht: Das Sichtfeld in den Lenkerendenspiegeln der Alpinista und der Mulholland wird häufig von den Fahrer-Unterarmen verdeckt, was im Stadtverkehr gefährlich sein kann. Die konventionellen Rundspiegel der Del Mar-Version sind vom Sichtfeld her um Längen besser.

Allen drei E-Motorrädern gemeinsam ist die gute Verarbeitungsqualität wie auch die durchaus gegebene Faszination der zugleich sehr hurtigen wie geräuscharmen Fortbewegung. Allerdings muss der Kontofüllstand schon ausgesprochen gut sein, wenn man sich den Fahrspaß einer Alpinisa, Del Mar oder Mulholland leisten will, denn unter 19.000 Euro geht nun mal nichts.



Livewire S2 Alpinista (A), S2 Del Mar (D) und S2 Mulholland (M) - Technische Daten:

Motor:  Flüssigkeitsgekühlter Permanent-Magnetmotor, 63 kW/86 PS (Dauerleistung 30 kW/41 PS), max. Drehmoment 263 Nm; kein Getriebe, keine Kupplung; Riemen-Endantrieb

Batterie: Lithium-Ionen-Akku, Nennkapazität 10,5 kWh, Rekuperation im Schiebebetrieb. Ladedauer von 0 auf 100 Prozent an der Haushalts-Steckdose 8,5 Stunden, an der Wallbox knapp 2,5 Stunden

Fahrwerk: Leichtmetall-Gussrahmen; vorne USD-Telegabel ø 43 mm, voll einstellbar, Federweg  12 cm (A u. D), 13,5 cm (M); hinten Leichtmetall-Zweiarmschwinge, Zentralfederbein, Vorspannung und Zugstufe einstellbar, Federweg 12 cm (A u.D) bzw. 10 cm (M); Aluminiumguss-Räder, schlauchlose Reifen; 120/70 ZR 17 (v.) und 180/55 ZR 17 (h., A), 130/80-19 (v.) und 140/80-19 (h., D), 120/70 ZR 19 (v.) und 180/55 ZR 17 (h., M); 32 cm Einscheibenbremse vorne, 26 cm Einscheibenbremse hinten

Assistenzsysteme: Zweikreis-ABS mit Schräglagenfunktion, Traktionskontrolle, Schleppmomentregelung, sechs Fahrmodi (Sport, Straße, Range, Regen, 2x benutzerdefiniert), volle Konnektivität mittels Smartphone, LED-Beleuchtung

Maße und Gewichte: Radstand 1,445 m (A), 1,465 m (D), 1,475 m (M); Sitzhöhe (unbeladen) 80,5 cm (A), 82,5 cm (D), 80,5 cm (M); Gewicht fahrfertig: 197 kg (A), 198 kg (D u. M), Zuladung 165-168 kg

Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit 163 km/h; Reichweite lt. WMTC-Norm 111 km (D), 122 km (A u. M)

Wartung und Garantie: Erster Service nach 1600 km, danach alle 8.000 km. Fahrzeug-Garantie zwei Jahre, Akku-Garantie fünf Jahre

Preise: 18.830 Euro (A), 19.430 Euro (D), 19.130 Euro (M)

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